|
09.10.2017, 19.30 Uhr, Göttenbach-Aula Idar-Oberstein
Ein Weltensammler auf der Flucht Ilija Trojanow als Gast bei Die Schnecke
Von unserem Reporter Jörg Staiber
Idar-Oberstein. Berühmt geworden ist Ilija Trojanow mit seinem Roman „Der Weltensammler“ über den Briten Richard Francis Burton. Bevor er dieses Buch schrieb, hat Trojanow eine Reihe von Stationen im Lebens Burtons gewissermaßen selbst nachvollzogen, hat wie dieser mehrere Jahre in Indien gelebt, ist nach Mekka gepilgert und zu Fuß Hunderte von Kilometern durch afrikanische Wildnis gewandert. Aber schon zuvor war Trojanows Leben von ständigen Ortswechseln geprägt, geboren in Bulgarien, als Sechsjähriger mit den Eltern nach Deutschland geflohen, es folgten Kenia, Paris, München, Bombay, Mainz, wo er Stadtschreiber war, Kapstadt und schließlich Wien, wo er heute lebt.
Auf Einladung des Kulturvereins Die Schnecke stellte Trojanow in der Bibliothek des Göttenbach-Gymnasiums vor rund 50 Besuchern sein jüngstes Buch „Nach der Flucht“ vor, ein schmales Bändchen mit 198 Szenen, Anekdoten, Notaten, Gedanken und Reflexionen von aphoristischer Kürze bis hin zur knappen Erzählform. Eingeteilt ist das Buch in die beiden Teile „Von den Verstörungen“ und „Von den Errettungen“. „Das Thema Flucht wird leider immer sehr holzschnittartig abgehandelt“, erklärte der Autor zu Beginn. „Was Geflüchtete denken und fühlen, geht leider meist verloren.“ Trojanow eröffnete die Lesung mit einem Bild, das sich im Buch fast ganz am Ende findet. Es beschreibt die beiden in jeder Hinsicht unterschiedlichen und gar nicht zueinander passenden Quellflüsse des Amazonas, die sich schon nach wenigen Kilometern zu etwas Neuem vereinigt haben.
Trojanows eigene Erfahrungen zeigen, dass es nicht nur von Nachteil ist, irgendwo fremd zu sein, sondern es für beide Seiten ebenso Herausforderung wie Bereicherung ist. So werfen die Kurztexte des Buches auf der einen Seite Schlaglichter auf die bitteren und bedrohlichen Seiten des Fremdseins, das ewige Gefangensein in der „Bindestrichidentität“, auch wenn man schon Jahrzehnte irgendwo lebt. „Ablehnung ist symbolische Abschiebung“, heißt es da etwa. Andererseits lehnt Trojanow die ewige Opferrolle des Flüchtlings ab, gerade diese mache ihn auch zu einer Art moralischer Bedrohung. Etliche spannende Aspekte des Themas riss der Autor mit seinen vielfältigen Gedanken an und bot damit sicherlich auch jede Menge Stoff für das anschließende Gespräch. Diese Diskussion kam allerdings nicht zustande, da die Zuhörer deutlich mehr an den zahlreichen sonstigen Projekten Trojanows und seiner spannenden Biografie interessiert waren.
Nahe Zeitung vom Mittwoch, 11. Oktober 2017, Seite 21
|
|