|
Ein Mann sieht schwarz Kabarett Volker Pispers attackiert gnadenlos in alle Richtungen
Von unserem Redaktionsleiter Stefan Conradt M Idar-Oberstein. Das gab es wohl auch noch nicht, dass das Stadttheater an zwei Abenden nacheinander voll besetzt war. Einen Tag nach der Verabschiedung von OB Bruno Zimmer gastierte Volker Pispers, hochdekorierter Politkabarettist aus Düsseldorf, in Idar-Oberstein – und es kam Publikum aus halb Rheinland-Pfalz und dem Saarland. „Die Schnecke“ als Veranstalter musste nicht einmal plakatieren, die 450 Tickets waren binnen weniger Tage ausverkauft, das gab es bislang in der langen Geschichte des Kulturvereins erst zweimal: bei Dieter Hildebrandt und Gerhard Polt. Erstaunlich: Bei einem der wenigen Kabarettisten, die sich das Thema Wirtschaft, Wirtschaftspolitik und Banken auf die Fahnen geschrieben haben, ist die Bude fast immer voll. Pispers verweigert sich bewusst den großen Hallen der „Comedians“. Das Stadttheater kommt seinen Vorstellungen einer idealen Spielstätte sehr nahe: Intime Atmosphäre, dicht am Publikum. Ins Schnecke-Gästebuch schreibt Pispers hinterher: „Ein perfekter Abend.“ Seit mehr als zehn Jahren variiert der Nachrichten-Junkie sein Programm „Bis neulich“ – kein Abend gleicht dem vorherigen. Zwar kommt der Humor nicht zu kurz: Aber neben zahlreichen Brüllern und einer perfekten Merkel-Imitation samt Raute („Der ist es egal, wer die Sänfte trägt, Hauptsache, sie sitzt drin“) dominiert längst die politische Hoffnungslosigkeit: „Ich weiß ja, dass ich nichts ändern kann. Warum versuch ich's immer wieder?“, meint er zwischendurch mal. Pispers (ver)zweifelt am Parteiensystem („Rot-grün hat mehr neoliberale Schweinereien gemacht als die FDP“) und verteufelt auch das Bankensystem („Das ist organisierte Kriminalität“). Der Dauermoderator des Deutschen Kleinkunstpreises attackiert gnadenlos in alle Richtungen: die AfD („Affen für Deutschland“) genauso wie die Grünen („Die waren mal unsere Hoffnung“) und seine ehemalige politische Heimat, die „Sozis“, er schreckt sogar vorm von den Nazis gern benutzten KPD-Kampfruf „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ nicht zurück. „Warum soll ein Hartz-4-ler denn noch wählen gehen?“, fragt er rhetorisch und gerät mit Aussagen wie „Die Zeitungen belügen uns tagtäglich“ bedenklich nahe an Pegida-Positionen. Ist er natürlich nicht, denn auch die „patriotischen Europäer“ bekommen ihr Fett weg: „Immigranten sind deshalb ein Thema, damit auch Hartz-4-Empfänger auf jemanden runterschauen können – Juden sind ja nicht mehr genug da.“ Pispers erklärt seinem Publikum die Weltpolitik und die wirtschaftlichen Verflechtungen: Vor allem im zweiten Teil des Programms bleibt einem oft das Lachen im Halse stecken. Der Kabarettist ist ein akribischer Rechercheur, zeigt detailliert auf, dass es Deutschland zwar offiziell nur rund 7 Prozent Arbeitslose gibt, tatsächlich aber gut ein Viertel der Menschen von ihrem Arbeitslohn nicht mehr leben können. 2030 drohe jedem dritten Deutschen die Altersarmut, wenn die Rente auf 40 Prozent vom Netto absinkt: „Aber auch die Eichhörnchen finden nur 30 Prozent ihrer Nüsse und werden dabei nicht mal von Vermögensberatern behindert.“ Die Riester-Rente enttarnt Pispers als „größte Volksverdummung überhaupt: Wenn Sie das, was sie da einzahlen, inflationsbereinigt wieder raus haben wollen, müssen Sie Heesters mit Nachnamen heißen.“ Genauso wie in Deutschland die niedrigen Einkommensschichten „schlicht verar..t“ werden, passiere das derzeit mit Griechenland: „Das ist Kapitalismus, das muss so sein.“ Der Kapitalismus sei mittlerweile zur Religion geworden, sagt der passionierte Pulloverträger: „Das sollen Sie nicht verstehen, Sie sollen glauben.“ Das ganze System baue einzig auf die Hoffnung, dass jeder Millionär werden kann: „Ja, jeder! Aber eben nicht alle!“ Wo das hinführe, könne man schon heute in den USA sehen: Armut und Kriminalität in ungeahntem Maße. „Wir fahren mit Volldampf auf den Abgrund zu. Wir wissen es, aber keiner will etwas am Kurs ändern.“
Nahe Zeitung vom Samstag, 28. Februar 2015, Seite 23
|
|
|
Fast 600 Besucher
Da irrte der NZ-Rezensent: Nicht 450 wie am Tag zuvor bei der Verabschiedung von OB Bruno Zimmer, sondern nahezu 600 Kabarettfans waren gekommen, um Volker Pispers im Stadttheater zu erleben. Die Tickets waren seit Monaten ausverkauft, die Warteliste war lang. „Wir hätten noch mehr verkaufen können“, sagt Schnecke-Vorsitzender Axel Redmer. Nur kurz hatte man daran gedacht, in die größere Messehalle zu wechseln. Weil aber viele Karten an Auswärtige gingen, wollte man die nicht mit einer kurzfristigen Verlegung verärgern.
Nahe Zeitung vom Samstag, 7. März 2015, Seite 20
|
|