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Nahe Zeitung, 10. November 2012 Ein Wiener Grantler erklärt die Finanzwelt Kabarett Werner Schneyder redet vor 280 Gästen in der Göttenbach-Aula
Von unserem Redakteur Stefan Conradt
Idar-Oberstein. Boxkampfrichter war er, Fernsehmoderator, Übersetzer, Theaterregisseur, Buchautor und natürlich Kabarettist. Auf seine alten Tage ist Werner Schneyder nun auch noch Ökonomieexperte geworden: Gut ein Drittel seines wie immer geschliffen-wortgewandten Vortrags beim allerersten Auftritt in Idar-Oberstein drehte sich um Euro-Krise, Staatsbankrotte und die dubiose Rolle von Ratingagenturen und Finanzmaklern („zu Heuschrecken mutierte Schmeißfliegen“) in diesem Spiel ums große Geld.
Das ist nicht leicht zu goutieren, da unterscheidet sich der Wiener Grantler ebenso entscheidend wie erfrischend von der Schar der seichten Komödianten im Fernsehen und in den großen Hallen. Die gut 280 Zuschauer in der im Rang voll besetzten Göttenbach-Aula hingen dem Kabarett-Urgestein dennoch an den Lippen.
Wie beim Boxkampf geht es Schlag auf Schlag: Die überfällige Transaktionssteuer bezeichnet Schneyder als „Ganovenmaut“. Gegen Finanzmakler seien Zuhälter wahre Ehrenmänner, wettert er: „Die Nutten, die die verhökern, sind ja immerhin da.“ Doch auch die Politik bekommt – natürlich – ihr Fett weg: „In den Parlamenten treten Leute auf, die in Bierzelten und Travestieshows Spitzengagen erzielen könnten.“ Über die Affäre Wulf hätten seine österreichischen Landsleute nur lachen können: „Bei uns wird mit so viel Geld bestochen, dass die Bestochenen die Bestecher einladen können.“ Schneyder weiß auch, weshalb so viele Arme in den USA Romney gewählt haben: „Die wollen nicht, dass Reiche Steuern zahlen. Sie hoffen ja immer noch, dass sie selbst mal reich werden ...“ Tja, so funktioniert der amerikanische Traum.
„Dies hier ist kein Kabarett, sondern eine Rede“, lautete die Drohung gleich zu Beginn des Programms. Ganz so trocken wurde es doch nicht, immer wieder schlüpfte der mittlerweile 75-Jährige in kleine Dialogrollen, ja sogar einen bitterbösen Sprechgesang (Adresse: katholische Kirche) gab es. Mal rezitiert er Schillers „Lied von der Zocke“, mal gibt er einen erzkapitalistischen Mephisto.
Am Ende muss der Grandseigneur des deutschsprachigen Kabaretts zweimal zurück auf die Bühne, um die Ovationen seiner Zuhörer abzuholen. Eine Zugabe gibt es dennoch nicht. Aus Grundsatz: „Meine Zugabe ist das Signieren von Büchern!“ – auch Kabarettisten sind also geschäftstüchtig, vielleicht gerade, weil sie schon längst in Rente sein könnten.
Wer am Ende dieses Abends dachte: „Wow, das ist ja kaum steigerbar!“, der irrt sich. Denn der – mit dem Abend vollauf zufriedene – Kulturverein „Die Schnecke“ hat für Ende Februar Dieter Hildebrandt gebucht – und dann wird wohl sogar das Stadttheater voll werden.
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