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Nahe-Zeitung, 11.5.92 "Er könnte neben Goethe stehen" Professor Walter Grab über den politischen Heinrich Heine: Er war ein elitärer Ästhet
IDAR-OBERSTEIN. DJI. Ein Mann der Gegensätze: ein romantischer Lyriker und analytischer Denker, ein Kämpfer für das Volk, der aber auf keinen Fall mit dem Volk kämpft, ein Jude, der sich protestantisch taufen läßt und katholisch heiratet ein Napoleon-Begeisterter und Demokrat ein energiegeladener euphorischer Mensch und doch ein dahinsiechender kranker Mann - Am Samstag Abend machte Professor Walter Grab aus Tel-Aviv die Zuhörer in der Göttenbach-Aula bekannt mit Heinrich Heine.
Klar und scharfsinnig Walter Grab, gebürtiger Wiener, der 1938 nach Palästina emigrierte, las auf Einladung der "Schnecke" Auszüge aus seinem Buch "Heine als politischer Dichter". Der Professor für Neuere europäische Geschichte und "Kenner der deutschen Demokraten" schickte vorneweg: "Es lohnt sich, ihn kennenzulernen." Kaum 30 Gäste waren gekommen, um über den 1797 in Düsseldorf geborenen Dichter als politischen Menschen zu hören. "Er ist eine Weltfigur. Er könnte neben Goethe stehen", sollte der Referent seine Vorlesung schließen. Dazwischen zeichnet der 73jährige Geisteswissenschaftler Grab durch die Analyse von zwölf politischen Gedichten des Schriftstellers dessen Lebensweg und Geisteshaltung vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse seiner Zeit. Er beschreibt ihn als visionären Denker, der sehr klar und scharfsinnig den Weg vorhergesehen und kommentiert hat, den Deutschland nach dem Wiener Kongreß eingeschlagen hat und der mit dem Dritten Reich endete. Grab charakterisiert sein Studienobjekt als einen Mann, der sich als braver Soldat im Freiheitskampf für die Menschheit gesehen at. Nicht die eigenen Interessen sollten im Vordergrund stehen, sondern die der Allgemeinheit. ("Eine Eigenschaft, die auch heutigen Politikern gut stehen wurde.") Andererseits betonte er in der Diskussion noch einmal:"Heine war ein elitärer Ästhet, der selbst sagte, er hätte sich die Hände gewaschen, wenn das souveräne Volk ihm die Hand gedrückt hätte." Denn er habe das Volk nicht für fähig gehalten, die Regierung zu übernehmen.
Heine als Stafettenläufer Heine habe sich als Stafettenläufer gesehen, der seine Aufgabe weiterreichen würde. So habe er desillusioniert doch nicht resigniert. Walter Grab zitiert Heine: "Deutschland. Ein Wintermärchen." Deutschtümelei, Spießbürgertum und die muffige Biedermeierwelt werden verspottet, mit brillanten Sprachwendungen, Ironie und bitterer Satire demaskiert Heine - der Heine, von dem viele bisher nur die romantische Seite kennengelernt haben.
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