|
Nahe-Zeitung, 16.11.1995 Kabarett wie aus dem Märchen Franz Hohler: Hintersinn statt lauter Gags und spitzer Pointen
IDAR-OBERSTEIN. Wär da nicht sein geliebtes Cello, Franz Hohler wäre für viele der ideale -Untermieter- Ein gepflegter Herr in den Fünfzigern. ein überaus freundlicher Mensch, gebildet, seriös ein wenig scheu und zurückhaltend. Ein ruhiger Zeitgenosse, dem man den Beruf eines Kabarettisten kaum zutrauen würde. Denn diese Zunft gilt gemeinhin als lästernd und laut, frech und fröhlich, bisweilen sogar bitterböse. Attribute, die auf Franz Hohler keineswegs zutreffen. Der 52jährige Wortkunst-Altmeister aus dem Land der Eidgenossen bezauberte am Dienstag, abend seine 100 Zuhörer in der Göttenbach-Aula mit Kabarett der anderen, einer besonderen Art. Leise Töne, skurrile Alltäglichkeiten, amüsante Geschichten, Kinderreime und kleine Liedchen sind sein Metier. Auf laute Gags und spitze Pointen wartet das Publikum vergebens. Fabeln, Parabeln und Märchen sind angesagt Doch nur ein scheinbar ungetrübtes Vergnügen. Denn auch das Hintersinnige bleibt nicht ohne Wirkung. Es darf geschmunzelt werden, gelacht und geklatscht die Lehren, die aus Hohlers kleinen Geschichtchen zu ziehen sind, versteht der Zuhörer oft erst, nachdem der Applaus verklungen ist, der Märchenerzähler auf der Bühne längst ein neues Kapitel aufgeschlagen hat.
Der Hammer und das Ei Fabeln bleiben ohne die gewohnte Moral. Preßluftbohrer und Ei streiten darüber, wer wohl von, ihnen der Stärkere sei. Am Ende zerschlägt der Hammer das Ei. Wieso überrascht sie das?« fragt Hohler sein Publikum. So ist doch die Welt. Oder?« Die Märchenprinzessin treibt's lieber mit dem Drachen als mit dem mutigen Prinzen, weil ihr garstiger Bewacher auch im Fliegen lieben kann. im - Gasthof zur weit erblassen die Besucher' wenn ihnen nach dem opulenten Mahl die Rechnung präsentiert wird-. Jeder zahlt die Zeche. die ein anderer hinterlassen hat. Der Geruch der Fäulnis, der sich überall um uns verbreitet, kommt nicht von irgendwo her, sondern von uns selbst - heißt es in einer der Hohlerschen Balladen. Höhepunkte aus seinem nunmehr 30jährigen Bühnenschaffen hat der Schweizer in seinem aktuellen Programm mit neuen Liedern. Fabeln und Geschichten verknüpft- Keineswegs eine "Greatest Hits"-Parade, wie er betont, sondern eine spezielle Zusammenstellung Ihr eine kleine Tournee auf kleinen Bühnen, die zwangsläufig auf die große "Drachentöter"-Inszenierung des vergangenen Jahres folgen müsste. Und so erweisen sich dann auch Klassiker" aus älteren Hohler-Programmen wie das Lied von dem kleinen Käfer, irgendwo auf einer fernen Südsee-Insel, dessen Aussterben eine Kette ökologischer Folgen bis hin zum Weltuntergang auslöst, als zeitlos zeitnah - als ebenso brennend aktuell wie die Ballade eines serbischen Liedermachers, die Hohler in sein Programm aufgenommen hat, weil sonst ja kaum einer hierzulande noch ein Wort über diesen Krieg verliert«.
Immer derselbe Traum Gewalt (nicht nur von rechts) und deren Ursachen: Ein Schlag tut gut. weg ist die Wut", trommelt Hohler auf zwei leeren Pappkartons. Doch der Schlag ist noch da", er hat nur neue Wut erzeugt, Der Fremdenhass, der auch im Land der Eidgenossen anzutreffen ist: Schweizer sein, ganz allein", schwelgt dazu verräterisch-sehnsüchtig das Cello. Er träume ständig von einer anderen, besseren Welt, sagt Hohler. Wohlwissend, dass seine Geschichten stets in den Sackgassen der existierenden Welt steckenbleiben. Bleibt da noch Hoffnung? - Die Geschichte von Zauberschächtelchen", die Hohler an diesem Abend als Betthupferl" erzählt, macht Mut. Nur einen einzigen, kleinen Wunsch kann der dienstbare Geist aus dem Kästchen seinem Finder erfüllen. Dem beschert dies letztlich ein Königreich. Und das ist doch ganz schön viel für so ein kleines Schächtelchen." Klaus-Peter Müller
|
|