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Nahe-Zeitung, 15.10.1999 Humor im Schatten der Mauer "Helden wie wir"-Leser erlebten in der Göttenbach-Aula einen anderen Thomas Brussig: Amüsant, grotesk, kabarettreif
Vor rund 40 Zuhörern las Thomas Brussig aus seinem neuesten, bereits verfilmten Roman "Am kürzeren Ende der Sonnenallee", einem Buch, das ungewohnt erheiternd das Leben in Ost-Berlin kurz vor der Wende darstellt. Von Eiko Donay
IDAR-OBERSTEIN.Wer den Erfolgsroman von Thomas Brussig, "Helden wie wir" (1995), bereits kannte, war am Mittwochabend, als der 34-jährige Berliner Autor in der Göttenbach-Aula im Rahmen einer Veranstaltung des Kulturvereins "Schnecke" aus seinem neuesten Buch "Am kürzeren Ende der Sonnenallee" las, überrascht, vielleicht sogar enttäuscht. Denn die Provokation, auf der der Erfolg von "Helden wie wir" beruhte, wird nicht fortgesetzt. Im Gegenteil. "Am kürzeren Ende der Sonnenallee" zeigt einen "anderen" Thomas Brussig, ein anderes Bild der ehemaligen DDR. Amüsant, grotesk, geradezu kabarettreif geht es da im Schatten der Mauer zu. Das Personeninventar erinnert an Schwejksche Konstellationen: der pfiffige Protagonist Michael Kuppisch, die lächerliche Schulleiterin Erdmute Löffeling, die ängstlich-ehrgeizige Mutter Kuppisch, der Revierpolizist, der durch seine blinden Schikanen zur Witzfigur wird, die neugierigen Bundesrepublikaner, die von den Aussichtstürmen zu den "Zonis" hinüber blicken, die naive "Westverwandtschaft" Heinz, die schöne Miriam, die am liebsten mit Westlern knutscht, und der Rolling-Stones-begeisterte Mitschüler Wuschel, der den Schuss am Todesstreifen unversehrt überlebt, weil zwei Westschallplatten unter seiner Jacke das Geschoss der hysterisch aufgescheuchten Grenzer abhalten Verharmlosung der DDR-Zustände? Unangemessenheit in Stil und Darstellung angesichts der Opfer des damaligen Regimes? Das Buch "Am kürzeren Ende der Sonnenallee" sei ursprünglich Drehbuch für einen Film gewesen, verteidigt sich Thomas Brussig auf Fragen seiner Zuhörer, habe sich dann, "weil viele Ideen hinzugekommen" seien, zum Roman weiterentwickelt. Er zeige die "andere Seite" des Autors, die sanftere, ruhigere. Die derb-provokative von "Helden wie wir" sei nicht wiederholbar gewesen. Außerdem: "Ich erzähle die DDR nicht, wie sie war, sondern wie ich sie erinnere." Das mache die DDR nicht besser, als sie in Wirklichkeit gewesen sei. Sein Buch solle aber keine "Chronik" sein. Immerhin komme auch alles "Schlimme" in seinem Buch vor, allerdings komödiantisch distanziert und daher karikiert, belustigend. Er selber, das müsse er zugeben, habe in der DDR nicht gelitten, also könne er nicht Bücher "für die Opfer" schreiben, das sei deren Aufgabe. Er wisse, dass seine Erzählperspektive zum Thema "DDR" nur nach der Wende möglich war: "Hätte ich so ein Buch geschrieben, als die Mauer noch stand, wäre dies nicht komisch, sondern zynisch gewesen "
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