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Kabarettabend mit Frank Lüdecke "Verwilderung"

Kabarettabend mit Frank Lüdecke "Verwilderung"
Donnerstag, 1. Oktober, 20 Uhr,
Idar-Oberstein, Göttenbach-Aula

Nahe Zeitung vom Montag, 5. Oktober 2009
Satire im Gewand des Fernsehmoderators
Kabarettist Frank Lüdecke begeistert Idar-Obersteiner Publikum

Bissige Satire, charmant serviert: Dem Berliner Wortakrobaten mit dem unschuldigen Lächeln, Frank Lüdecke, kann keiner böse sein. Das Idar-Obersteiner Publikum dankte dem preisgekrönten Kabarettisten mit anhaltendem Applaus für seinen respektlos-witzigen Rundumschlag.

IDAR-OBERSTEIN. Stahlsaitensound umrahmt des Kabarettisten Auftritt. Dabei klingen Frank Lüdeckes Lieder eher nach Reinhard Mey als nach hartem Rocker. Seinen bissigen Wortwitz weiß der gebürtige Berliner geschickt mit Beredsamkeit zu tarnen. Mit unschuldigem Blick und dem jungenhaften Charme eines Fernsehmoderators serviert er Satire. Und wird dafür seit Jahren mit Kleinkunstpreisen überhäuft.

Zum Gastspiel in der Göttenbach-Aula hat der 48-Jährige die Nachricht von der Verleihung des Deutschen Kabarettpreises mitgebracht. Es bleibt eine Notiz am Rande - wie die Wahl vom Sonntag: Die Nichtwähler sind auf dem Sprung zur Volkspartei und Westerwelle ist halt der Preis fürs Ende der Großen Koalition, streift Lüdecke nur kurz und zum Aufwärmen Parteipolitik. "Verwilderung" ist sein großes Thema, entpuppt sich im Verlauf des Abends als Allheilmedizin gegen die Leiden unserer Gesellschaft.

Der demografischen Entwicklung ("die Alterspyramide hat bereits die Form einer Urne") glaubt der Kabarettist mit einer Verwilderung Brandenburgs begegnen zu können: Zaun herum, Bären und Wölfe ansiedeln, dann kann die Landschaft erblühen. In der Bildungspolitik ist Verwilderung schon längst bekannt - unter dem Namen Hauptschule, spannt Lüdecke den Bogen von der Heiligen Hildegard (im gleichnamigen Intercity reisten einst Brandenburgs Frauen scharenweise gen Westen) zum biblischen Propheten Elijah und einem FDP-Generalsekretär namens Charles Darwin. Unterwegs erklärt er seinen rund 200 Zuhörern in simplen Worten und am Beispiel der an einen Investor aus Übersee ausgeliehenen Düsseldorfer Kanalisation, was derzeit in Rathäusern und Finanzkreisen als "Cross Border Leasing" gehandelt wird.

Ein Thema ergibt das andere: Dicke Gehälter für unfähige Manager ... Sie sind nicht etwa ungerecht verteilt, sondern zeugen lediglich von etwas, was Lüdecke im Umkehrschluss mangelnde Demokratisierung der Dummheit nennt. Dem alten Karl Marx und dessen Verelendungstheorie verhilft der Berliner hinüber ins Internet-Zeitalter. Ein Chat mit mäßigem Erfolg: "Ist doch klar, dass Inhalte nicht mit technischer Entwicklung mithalten können." Liebe und Hass sind ein Enzym-Problem - bringt der Kabarettist die nächste wissenschaftliche Erkenntnis auf den Punkt. Auch die Finanzkrise ist letztlich gentechnisch bedingt, ist seine Pointe - "und wir reden noch von Tomaten und Mais."

Reichtum entsteht in der Regel aus Arbeit, Erbschaft oder Steuerhinterziehung - ein sattes Erbe aber ist meist der Beginn von Verwilderung - ist Lüdecke irgendwann wieder beim Ausgangsthema. Und nimmt nur kurz Anlauf für eine neue Runde ...

Zwei Stunden Programm vergehen so wie im Flug. Kaum ein gesellschaftliches Thema, das nicht zumindest mal in einem Halbsatz angekratzt wird. Die Spitzen zielen mal in diese, mal in jene Richtung. So richtig getroffen muss sich darum niemand im Publikum fühlen. Und kommt eine Pointe doch mal zu hart: Mit diesem unschuldigen, vorweg um Verzeihung bittenden Lächeln kam der Berliner schon auf die Bühne ... Und Frank Lüdecke bleibt liebenswert, charmant und verbindlich bis zum Schluss, erfüllt den Idar-Obersteinern sogar noch den Wunsch nach drei oder vier Zugaben. Aber selbst danach will der Beifall gar nicht enden.

Klaus-Peter Müller