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Nahe Zeitung vom Montag, 9. November 2009 Was wendete sich mit der Wende wirklich? "Gesamtdeutscher" Autor Christoph Hein las im Maler-Zang-Haus aus seinem Roman "Landnahme"
BIRKENFELD. "Sie sind einer der ganz wenigen wirklich gesamtdeutschen Schriftsteller", sagte Axel Redmer, Vorsitzender des Kulturvereins "Schnecke", als er sich bei Christoph Hein am Schluss von dessen Lesung im Maler-Zang-Haus bedankte. Seit fast zehn Jahren stehe der in Ost und West mehrfach ausgezeichnete Autor auf der "Wunschliste" der "Schnecke", betonte Redmer, und so sei es eher Zufall, dass Hein gerade in der Zeit des 20. Jahrestages des Mauerfalls in Birkenfeld auftrete.
"Nicht als Zeitzeuge ist Christoph Hein hier, sondern als Autor, der nach der Wende mindestens ebenso viele Erfolgsbücher geschrieben hat wie davor", stellte Redmer fest. Und so traute sich das Publikum auch kaum, neben Fragen nach Biografie, Schreibtechnik, Erzählperspektiven und Personenkonstellation der Romane irgendeine historisch-politische Frage an den Mann zu richten, der am 4. November 1989 neben Christa Wolf, Friedrich Schorlemmer und Marianne Birthler auf der großen Demonstration in Ostberlin gesprochen und zuvor in seinem Theaterstück "Die Ritter der Tafelrunde" (1989 in Dresden uraufgeführt) das DDR-Politbüro angegriffen hatte.
Dennoch beantwortete Heins Lesung die schließlich doch noch gestellte Frage, wie er die deutsche Entwicklung nach der Maueröffnung beurteile. Denn im Roman "Landnahme" (2004), aus dem Hein Ausschnitte las, sind die Zeiten des DDR-Alltags, die "Wende" und die darauf folgenden "gesamtdeutschen" Jahre dargestellt.
Und der tragikomische und doch wieder erschreckend realistische Aufstieg des darin beschriebenen, diskriminierten "Umsiedler"-Kindes Bernhard Haber aus "Breslau/Wroclaw" spiegelt die Einschätzung des heute 65-jährigen Journalisten, Dramatikers, Romanschriftstellers und Lyrikers wider: Duckmäusertum, Anpassung, Komplizentum, Seilschaften, geschicktes Ausnutzen der politischen Bedingungen - all dies führte zu wirtschaftlichem Erfolg und politischem Einfluss, sei es nun vor oder nach der "Wende" - die in "Landnahme" auch kaum einen entscheidenden Einschnitt bedeutet ...
"Mein Leben verlief sehr wechselhaft und mit sehr vielen Widerständen", sagte Hein, der in "Landnahme" auch Biografisches verarbeitete, "das sind gute Voraussetzungen für das Schreiben." In einem halben Dutzend Jobs arbeitete der in der DDR unerwünschte Pfarrerssohn, bis er 1979 freier Schriftsteller wurde. Nicht unerwartet daher ein Nietzsche-Zitat als sein Lebensmotto: "Was mich nicht umbringt, macht mich stärker." (ed)
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