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Kabarettabend mit Hagen Rether

Kabarettabend mit Hagen Rether
Sonntag, 28. April 2013, 19 Uhr, Idar-Oberstein, Stadttheater

Die Giraffe taucht nicht, und Rether hört nicht auf
Jet-Urlauber, Fleischesser, Politiker, Katholiken: Beim Essener bekommt jeder sein Fett weg – und das dreieinhalb Stunden lang
Von unserem Redakteur Stefan Conradt


M Idar-Oberstein. Fast eineinhalb Stunden Programm sind vorbei, als Hagen Rether auf die Uhr schaut: „So spät schon? Na, dann wird es aber Zeit, dass wir anfangen...“ Ein Scherz? Mitnichten: Nach einer kurzen Pause legt der Kabarettist aus Essen noch mal zwei Stunden nach – und empfiehlt seinen Gästen: „Wenn's Ihnen zu viel wird, können Sie einfach gehen.“
Das trauen sich dann aber nur ganz wenige – vielleicht auch, weil sie erlebt hatten, dass Rether auf fast jede Regung im Auditorium umgehend reagiert. Und so rauchen bei mehr als 500 Besuchern gegen 23 Uhr die Köpfe, als sie das fast voll besetzte Stadttheater verlassen, randvoll mit Informationen und Hintergründen. Und Vorschlägen Rethers, wie man an der derzeitigen, festgefahrenen gesellschaftlichen Situation etwas ändern kann: „Man muss es nur tun!“
Er räsoniert über Jet-Urlauber („Kaum gibt es mal einen Brückentag, fliegen die nach Mallorca ...“), Rindermäster, die deutsche Schulpolitik und natürlich die Katholische Kirche. „Da wählen sie immer über 80-Jährige zum Papst und wundern sich dann, dass es keine Reformen gibt. Hallo? Die Giraffe taucht nicht! Das ist eine Giraffe! Der Papst heißt Papst. Nicht Reformator.“
Über weite Strecken gleicht das Programm des Gewinners des Deutschen Kabarettpreises von 2010 einem philosophisch-humanistischen Monolog epischen Ausmaßes, aufgelockert – Gott sei dank – immer wieder durch pointierte Gags und Sticheleien („CDU – das ist die Abkürzung für ,Christus dachte umgekehrt'“).
Dabei hatte das Idar-Obersteiner Publikum noch Glück – immerhin sang der ausgebildete Konzertpianist gegen Ende seines Programms noch zwei Lieder (passend zum Thema „The crying earth“ von Michael Jackson und – Peer Steinbrück gewidmet – „Desperado“ von den Eagles). Es passiert nämlich gar nicht so selten, dass Rether den ganzen Abend an seinem Flügel sitzt oder das gute Stück – ebenso akribisch wie dadaistisch – putzt und wienert, ohne es auch nur einmal zu spielen. Zu viel hat der Mann zu sagen, der seit vielen Jahren Mitglied des globalisierungskritischen Netzwerks „attac“ ist – und halt missionierender Vegetarier.
Da hatte er – wahrscheinlich wusste er es nicht besser – einen schweren Stand in der Spießbratenmetropole. Der Applaus nach „Fleischfresser“-kritischen Pointen („Ich finde, es sollte nur einmal die Woche Fleisch geben – und dann auch nur für Besitzer von Organspenderausweisen“) fiel fast ebenso spärlich aus wie nach Rethers satirischer Verteidigungsrede für Zoophilisten („Fragen Sie doch mal eine Kuh was ihr lieber ist, der Metzger oder ...“) Immerhin: Auch die Biobananen, die er am Ende des Programms genüsslich verzehrt, bekommen ihr Fett weg: „Ja, Biobananen! Die kommen mit Flugzeugen mit Rapsölmotor!“
Auch wenn Rether vorgibt, nicht zu verstehen, „dass sich meine Kollegen an all diesen Politikern abarbeiten“ – er tut es auch: Angela Merkel sei „die beste Kanzlerin, die wir je hatten“ und Peer Steinbrück der Beweis dafür, „dass es nichts nützt, wenn du schlau bist, wenn du doof bist“. Der SPD empfiehlt er, doch einfach mal dem Wähler zu sagen: „Also, wir sind noch nicht so weit, lasst uns dieses Mal einfach mal raus. Da hätte doch jeder Verständnis für ...“
„Freiheit“ heißt Rethers Programm – und zwar schon immer, derzeit ist es „Freiheit 4“. Und die nimmt sich der Kabarettist. Reichlich. Völlig entspannt sitzt der 43-Jährige da, rekelt sich auf seinem Bürostuhl, genehmigt sich einen Schluck Mineralwasser und verrät, wie die Welt sich dreht. Keine Frage: Der Mann hat mit vielem, mit fast allem, was er sagt, recht. Aber nach drei Stunden ist das doch ziemlich ermüdend. Dass Rethers Erzähltempo deutlich den Aufdruck „entschleunigt“ trägt, macht die Sache nicht besser – so manches Augenlid dürfte an diesem langen Abend nach unten geklappt sein. Nein, langweilig war das nie. Nur eben lange. Sehr lange. Und es gibt tatsächlich auch heute noch Menschen, die am nächsten Morgen zur Arbeit müssen ...

Nahe Zeitung vom Dienstag, 30. April 2013, Seite 22