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Nahe Zeitung, 04.05.2007 Konzert der Extraklasse vor halb leeren Rängen
Salome Kammer präsentierte "Lieder aus der Heimat - Lieder in die Heimat" auf Einladung der "Schnecke" im Stadttheater
IDAR-OBERSTEIN. Leider nur rund 120 Besucher waren ins Stadttheater gekommen, um ein Konzert der Extraklasse zu erleben. Auf Einladung des Kulturvereins "Die Schnecke" gastierte Salome Kammer mit dem Programm "Lieder aus der Heimat - Lieder in die Heimat", eine Hommage an das Chanson und Kabarett des Berlins der 20er-Jahre und deren bekannteste Komponisten und Texter. Doch 1933 müssen die eben noch gefeierten Künstler Deutschland verlassen... Wie sie die Situation im Exil künstlerisch verarbeiteten, zeigte der zweite Teil des Abends.
Salome Kammer ist bei uns vor allem durch ihre Rolle als Sängerin Clarissa Lichtblau in der 2. und 3. Staffel des "Heimat"-Epos ihres Ehemannes Edgar Reitz bekannt. Doch die studierte Cellistin und ausgebildete Sängerin ist eine überaus vielseitige Künstlerin, ihr musikalisches Repertoire reicht von moderner avantgardistischer Musik bis hin zu populären Bühnenrollen wie der Eliza Doolittle in "My Fair Lady". Diese enorme Bandbreite kommt auch im Stadttheater zum Tragen: Gesang und Schauspielkunst auf höchstem Niveau spielen bei ihren Vorträgen eine gleichberechtigte Rolle. So wie sie als Sängerin alle Ausdrucksformen vom ordinären Gossengegröle bis hin zum engelsreinen Sopran nebst allerlei stimmtechnischer Kabinettstückchen mit beeindruckender Selbstverständlichkeit beherrscht, so zieht sie in Mimik und Körpersprache mühelos alle Register und lässt so all die Perlen aus einer der Blütezeiten der deutschen Kultur und deren unmittelbar folgenden finstersten Kapitel auf der Bühne lebendig werden. Dabei hat sie in dem Pianisten Rudi Spring einen versierten, aufmerksamen und einfühlsamen Begleiter.
Großen Raum im Programm nimmt die wohl bekannteste Kunstpartnerschaft dieser Zeit ein, die von Bertold Brecht und Kurt Weill. So fehlten nicht einige der populärsten Lieder wie etwa der "Barbara-Song", das "Liebeslied" und die "Seeräuber-Jenny" aus der "Dreigroschenoper" oder der "Bilbao-Song" aus "Happy End". Doch auch inzwischen weitgehend vergessene Stücke hat Salome Kammer ausgegraben. Lieder wie "Berlin im Licht" spiegeln ebenso die Faszination wider, die die Elektrifizierung des städtischen Lebens auslöste, wie die schnoddrige Art der Berliner, darauf zu reagieren. Doch auch die düsteren Seite des genialen Teams bleibt nicht außen vor, etwa das "Berliner Requiem", die Ballade von dem ertrunkenen Mädchen, dass die Kehrseite des brodelnden Lebens der Hauptstadt zeigt. Andere Komponisten aus den Goldenen 20-ern werden mit einigen Glanznummern vorgestellt, allen voran Friedrich Hollaender, dessen Lieder Sentimentalität, Frivolität und eine messerscharfe Analyse sozialer Verhältnisse in sich vereinen, wie etwa "Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre" oder "Ach lege deine Wange doch an meine Wange" mit dem Text von Kurt Tucholsky.
Nach der Pause widmet sich Salome Kammer weitgehend den selben Künstlern, die aber nun im Exil nicht nur hilflos die Verbrechen in ihrem Vaterland ansehen müssen, sondern zum Teil auch mit erheblichen Existenzproblemen zu kämpfen haben. Widmeten sie sich vorher nicht ohne eine gewisse Schlüpfrigkeit etwa dem Leben von Prostituierten im pulsierenden Berlin, so sieht sich etwa Brecht gemeinsam mit seinen Schicksalsgenossen nun selber als jemand, der sich prostituieren muss. Und selbst bei Weill, der mit der neuen Situation künstlerisch wie ökonomisch hervorragend zurechtkam, hört man bei dem zum Abschluss vorgetragenen "Son of the Rhineland" bei allem übermütigen Sprachwitz, den Salome Kammer in köstlicher, geradezu slapstickhafter Manier zelebriert, auch die Trauer um die verlorene Heimat durch - in die Weill, anders als Brecht, nie wieder zurückkehrte. Jörg Staiber
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