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Nahe Zeitung vom 29.06.2007 Erinnerungen an die "Götter" Pen-Präsident Johano Strasser las aus seinem Buch zur 68er-Revolution
IDAR-OBERSTEIN. Sommer 1967: In Mainz wollen Studenten ein Theater stürmen, mit Gewalt "das verdummende und niveaulose Programm", das dort gerade gespielt wird, stoppen. Der Intendant des Theaters stellt sich den wütenden Protestlern, gesteht ihnen aber zu, am Ende der Aufführung zum Publikum sprechen zu dürfen. Die Studenten nutzen es: Sie reden über die Gefahren der Demokratie, über ihre Ideen...
Und Johano Strasser dämmert: Das Publikum versteht die Studenten nicht. "Mir wurde klar, dass wir nicht zu den Menschen sprachen, sondern nur uns selbst darstellen wollten", erinnert sich der heute 68-Jährige in seiner Lesung im Heinzenwies-Gymnasium an die wildbewegte Apo-Zeit, die Revolte im Mai 1968, seinen Entschluss, in die SPD einzutreten.
Wenige Jahre später lernte er Axel Redmer kennen: Strasser war im Bundesvorstand der Jusos, Redmer saß den Landes-Jusos vor. Heute ist Redmer nicht nur Landrat, sondern auch Vorsitzender des regionalen Kulturforums "Die Schnecke", das Strasser, den Präsidenten des Pen-Zentrums Deutschland, ins Heinzenwies-Gymnasium eingeladen hatte. Dort las der Vordenker der deutschen Linken aus seinem vor wenigen Monaten erschienenen neuen Buch "Als wir Götter waren im Mai", eine Reise in seine eigene Vergangenheit, die sich nicht allein mit der Apo-Zeit und der Revolte von 1968 befasst.
Strasser schreibt über seine Kindheit im niederländischen Leeuwarden, über seinen Vater, der ihn lehrte, "dass man mit Würde scheitern kann", seine Mutter, von der er lernte, dass man sich nichts gefallen lassen darf. Die Kosmopoliten, die ihm einen Vornamen aus der Esperanto-Sprache gaben, zogen es dennoch vor, "die Welt mit großem Abstand zu verfolgen".
Nicht so Johano: Er mischte sich in der Apo ein, wurde Vordenker der Jusos. Die Politik "war gefräßig, sie konnte einen mit Haut und Haaren verschlingen". Strasser vernachlässigte seine Familie.
Seine Zeit als Herausgeber der politisch-literarischen Zeitschrift "L 80" ist ein Streifzug durch die Literatur: Günter Grass, in dessen Haus er wohnte; Heinrich Böll, der, wenn er sprach, mit leiser, eindringlicher Stimme redete, nie schroff, aber immer mit fester Überzeugung; Lew Kopelew "mit seinem weißen Rauschebart"; Václav Havel, der in "L 80" seine erste Erzählung veröffentlichte; Oppositionelle aus der DDR-Literaturszene, die "auf einen Tee vorbeikamen". Kurz vor dem Fall der Mauer wurde das Magazin eingestellt.
Das Titelthema des Buchs, die 68er-Revolution - in der Lesung auf ein Kapitel beschränkt - erhielt in der anschließenden Diskussion dennoch ausgiebig Raum. "Die Bewegung trug wesentlich dazu bei, aus Deutschland die heutige Demokratie zu machen", meint Strasser. "Der antiautoritäre Geist ist ihr größtes Vermächtnis." (da)
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