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"Im Kanzleramt- Tagebuch der Jahre mit Willy Brandt"
Lesung und Diskussion mit Klaus Harpprecht,
Publizist und ehemaliger Berater
und Redenschreiber bei Willy Brandt
23.10.2000, 20.00 Uhr 
Idar-Oberstein, VR-Bank Naheland


Nahe-Zeitung, 25.10.2000
Brandt-Rücktritt "eine Verschwörung der Umstände"
Der 73-jährige Journalist Klaus Harpprecht schilderte in einer Lesung die Dramatik vor der Entscheidung "Im Kanzleramt"

IDAR-OBERSTEIN. Die Dramatik der letzten Tage vor dem Rücktritt des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt beschrieb Klaus Harpprecht in der Volksbank-Raiffeisenbank Naheland, wo er auf Einladung des Kulturvereins "Schnecke" aus seinem Buch "Im Kanzleramt" las. Es enthält die Tagebuchaufzeichnungen des 73-jährigen Journalisten, Publizisten und Schriftstellers, der von 1972 bis 1974 Berater und Redenschreiber des im Mai 1974 zurückgetretenen Kanzlers war.
Seinen Rücktritt wertet Harpprecht als "kein persönliches Scheitern, sondern eine Verschwörung der Umstände". Das Tagebuch sei seinerzeit aufgrund der Umstände im Zustand einer "großen Erregung" geschrieben worden, führte Harpprecht aus, aber er habe nichts daran geändert, außer dass er einige Kürzungen vorgenommen habe und einige "überscharfe Urteile" Brandts, der ein "großer Spötter" gewesen sei, gestrichen habe.
Überraschend ist vor allem die kristallklare Beschreibung der Ereignisse und eigenen Empfindungen, die Harpprecht trotz der Hektik jener Tage zu Papier gebracht hat. Brandt war innenpolitisch vor allem aufgrund der ersten Ölkrise und der Guillaume-Affäre unter Druck geraten. Aber auch innerparteiliche Heckenschützen, hier nannte Harpprecht besonders das zwielichtige Ränkespiel Herbert Wehners, machten ihm das Regieren schwer.

Flehentliche Bemühungen
Im Tagebuch werden die schon flehentlichen Bemühungen vieler Vertrauter von Brandt deutlich, auf seinem Posten zu bleiben. Viele fürchteten katastrophale Auswirkungen für Deutschland und Europa, wenn die Symbolfigur für den demokratischen Wandel, die Friedenspolitik zum Osten und die Einigung Europas nicht mehr Kanzler sei - zumal mit Georges Pompidou erst kurz zuvor ein weiterer Motor des Zusammenwachsens Westeuropas gestorben war.
Viele der Befürchtungen, so Harpprecht in der anschließenden Diskussion, hätten sich nicht bewahrheitet, was sicher auch daran gelegen habe, dass Brandt weiterhin Parteivorsitzender blieb, und so die SPD vor einer Zerreißprobe bewahrte. Aus dem Publikum wurde die Frage aufgeworfen, ob der Rücktritt Brandts nicht auch ein Stück demokratischer Normalisierung bedeutet und damit langfristig einen positiven Einfluss auf die politische Kultur in Deutschland ausgeübt habe.
Harpprecht bejahte zwar, zumal sich der amerikanische Präsident Nixon zur gleichen Zeit in der Watergate-Affäre wesentlich unrühmlicher verhalten habe, meinte aber dann, er halte den Rücktritt nach wie vor für einen Fehler, zumal die eigentliche politische Verantwortung für das Wirken des DDR-Spions eigentlich beim damaligen Innenminister Hans-Dietrich Genscher gelegen habe, der aber überhaupt nicht an einen Rücktritt dachte.
Zu dem interessanten Abend, an dem ein zentraler Abschnitt deutscher Nachkriegsgeschichte von einem Insider beleuchtet wurde, fanden sich lediglich rund 40 Zuhörer ein. Dass es sich dabei um keine reine Geschichtsstunde gehandelt hatte, zeigte die Diskussion, in der auch der von Harpprecht und Brandt gemeinsam entwickelte, derzeit sehr aktuelle Begriff der "Neuen Mitte" aufgegriffen wurde.Jörg Staiber