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Nahe-Zeitung, 06.11.2003 Ein Ausrufezeichen für die Malerin und Naturforscherin Autor Dieter Kühn las im Göttenbach-Gymnasium aus "Frau Merian"
IDAR-OBERSTEIN. Sie war eine bemerkenswerte Frau: Maria Sybilla Merian, drei Jahre vor dem Ende des 30- jährigen Krieges geboren, war Naturforscherin, Malerin und Kupferstecherin, man zählt sie zu den Begründern der Insektenforschung, und sie gilt als für ihre Zeit ungewöhnlich mutig, selbstbewusst und emanzipiert. Ihre Darstellungen von Pflanzen und Insekten, insbesondere die bei ihrem knapp zweijährigen Aufenthalt in Surinam entstandenen, sind bis heute berühmt. Ihr Portrait zierte den 500- Mark-Schein, zahlreiche Schulen wurden nach ihr benannt und, gerade in den vergangenen beiden Jahrzehnten, eine Fülle von Büchern über sie geschrieben. Eine der jüngsten Biografien ist "Frau Merian!" des Schriftstellers Dieter Kühn, der schon mit Werken über Clara Schumann, Josephine Baker oder, seinem bislang erfolgreichtem Werk, über den Tiroler Minnesänger Oswald von Wolkenstein. Knapp 40 Interessierte waren der Einladung des Kulturvereins "Die Schnecke" gefolgt und erlebten Kühns Lesung aus seinem Buch über die ungewöhnliche Barock-Frau im Musiksaal des Göttenbach-Gymnasiums. Die Dokumente und vor allem Selbstzeugnisse über und von Maria Sybilla Merian sind rar, sieht man einmal von ihren drei Hauptwerken und den zahlreichen erhaltenen Stichen von Tieren und Pflanzen ab. Kühn füllt diese reichlich vorhandenen Lücken nicht, wie häufig bei Biografien üblich, mit Spekulationen und schriftstellerischer Fantasie aus, sondern mit einer "Analogietechnik": Er erklärt anhand von Dokumenten von Zeitgenossen, was in der Zeit der Merian typisch für die Situationen, in denen sie sich befunden hat, gewesen ist.
Faszinierende Frau Ins Zentrum seiner Le sung stellt Kühn die Reise nach Surinam, zu der Maria Sybilla Merian 1699 mit der jüngeren ihrer beiden Töchter aufgebrochen ist. Da auch über diese Reise keine persönlichen Aufzeichnungen überliefert sind, hält Kühn sich an Berichte von Zeitgenossen oder noch spätere Quellen. Um die Umstände der dreimonatigen Seereise nach Surinam nachzuzeichnen, zieht er etwa eine Schilderung von Adalbert von Chamisso heran, der ein gutes Jahrhundert später lebte. Der Vorteil von Kühns Herangehensweise ist, dass er dadurch ein detailreiches Panorama der Lebensverhältnisse dieser Zeit entwirft, ein Nachteil allerdings auch, dass er sich über weite Passagen sehr weit von seiner eigentlichen Hauptperson entfernt. In der spannenden und durch den hintergründig- verschmitzten Humor Kühns auch sehr unterhaltsamen Lesung, räumt der Autor auch mit einigen gängigen "Heroisierungen" der Merian auf. So sei an ihren Abbildungen durchaus wissenschaftliche Kritik angebracht, ebenso wie ihre Stellung als Insektenforscherin, der vielfach die Entdeckung der Metamorphose zugeschrieben wird, zu relativieren. Aber, so Kühn, trotz der Richtigstellungen bleibe die Frau so faszinierend, dass er dem Titel des Buches "Frau Merian!" das anerkennende Ausrufezeichen hinzugefügt habe. Jörg Staiber
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