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Nahe-Zeitung, 08.06.1993 Keine so netten Sonette Günter Grass in Idar-Oberstein: Notizen eines Prominenten-Besuchs
VON WOLFGANG ALBUS
IDAR-OBERSTEIN. Endlich ist er da, der Schneckenvater. Doch für die 320 Menschen in der stickigen Göttenbach-Aula scheint er gar nicht zu existieren. Noch nicht. Kaum einer dreht sich um - nach dem Mann mit Schnauzbart .-und Pfeife. Die Augen richten sich aufs leere Rednerpult. Nicht auf ihn. Auf Deutschlands bekanntesten lebenden Dichter: Günter Grass.
Schriftsteller werden im Land der Dichter und Denker eben nicht wie Stars begafft. Schon gar nicht, wenn sie in der Politik mitmischen. Und das wird Grass auch an diesem Abend wieder ausgiebig tun. Bereits fünf Stunden ist er zu diesem Zeitpunkt in Idar-Oberstein. Vorher hat er etliche Jahre verstreichen lassen, ehe er eine Einladung des Kulturvereins Schnecke annahm Dessen Wappentierchen entschlüpfte einst seinem Werk. Warum kommt so einer wie der überhaupt in eine Stadt wie diese? Um der Einsamkeit des Schreibens zu entfliehen, um den Kontakt zu den Menschen zu suchen, behauptet er im Casino der Kreissparkasse, der ersten Station seines Besuchs. Unter den Augen eines Fernsehteams schreitet er die Bilder seiner Ausstellung ab. An einem bleibt sein Blick hängen. Es hängt verkehrt. Auf den Hinweis, so etwas werde manchmal erst nach 100 Jahren entdeckt, kontert er knapp: "Nicht, wenn's signiert ist..." Einmal schnitten Bankleute in Elmshorn die "unordentlichen" Ränder seiner Zeichnungen ab. Das wurmte ihn tatsächlich, und seine saftige Rechnung ärgerte sicherlich die Bank.
In der Ruhe liegt Kraft
Die wenigen Minuten vor der Lesung passen zu der Art. wie er schon zuvor im kleinen Kreis wirkte. Gedankenverloren. aber plötzlich wieder hellwach und energiegeladen. Da trödelt er noch einen Moment fast unbeachtet herum und stürmt im nächsten Augenblick durch den Mittelgang der Aula, stoppt auch nicht für den Fotografen. der ihm fast den Weg verstellt, Axel Redmer, Vorsitzender der Schnecke, begrüßt ihn mit wenigen Worten. Ruhig, so als wäre er vom eiligen Gang erschöpft. beginnt Grass, in die Handlung der Unkenrufe einzuführen. Zu ruhig offenbar. Ein Prominenter im Publikum, der selbst viel und gerne schreibt, scheint unter dem angenehmen Gleichklang der Dichterworte einzuschlafen. Doch dann ist sie wieder da, die Kraft. Wenn Grass Danziger Menschen in ihrer Mundart sprechen läßt, dann ist das Leben seiner Sprache fast mit Händen greifbar. Verglichen mit der späteren Lesung seiner Sonette, bleibt mit dieser Ausnahme der Vortrag der Unkenrufe eher dünn und verhalten. Das Kraftwerk, das dem Günter Grass an diesem Tag die Energie liefert. ist die Politik. Bei seinen 13 streng formalen Gedichten. die er unter dem Titel "Novemberland" der deutschen, Einheit - oder der Un-Einheit - widmete, ist nichts von Langeweile oder Müdigkeit zu spüren, für die manche seiner Werke berüchtigt sind. Es sind keine Gedichte für die literarische Nachwelt sondern bedeutende Zeugnisse deutscher Nachkriegsgeschichte. Wer eines Tages die Zeit nach der Vereinigung begreifen will, wird an diesem Gedichtband kaum vorbeikommen. Grass findet starke Worte. Er stellt sich ohne Kompromiß auf die Seite der Flüchtlinge und Verlierer der Einheit. In der Göttenbach-Aula geht es ihm offenbar vor allem um eines: Er will keine so netten Sonette vortragen, sondern mit seiner ganzen Autorität ein Signal gegen die Explosionskraft der Intoleranz -setzen. Daß unter dem Verzicht auf Pausen und durch das Tempo seiner Sprache die Verständlichkeit leidet, nimmt er in Kauf. Bloß keine Besinnlichkeit aufkommen lassen, scheint seine größte Sorge zu sein. Durchs Lesen seiner Gedichte redet er sich in Rage. Die Botschaft kommt an. In der anschließenden Diskussion verfällt keiner mehr auf die an sich naheliegende Idee' den Schriftsteller nach literarischen Themen zu befragen. Grass redet und doziert über Bundespolitik. Über das verpfuschte Geschenk der Einheit, über den Sozialpakt, der diesen Namen nicht verdiene. Über die Ostdeutschen, die die Last des von Deutschen verschuldeten Krieges am längsten tragen mußten. So wie er es gegenüber den Sparkassendirektoren und dem SPD-Politiker Axel Redmer tut, als er erst nach Rudolf Scharping fragt und ebenso wie in der Göttenbach-Aula bei den Themen Asyl und Einheit landet. Wer auch nur leiseste Zweifel an seiner Position anmeldet, kriegt eins aufs Dach: "Sie haben mir nicht zugehört", erfährt einer, der solche barschen Abfuhren sicher nicht gewohnt ist.
Deutliche Forderungen
Doppelte Staatsbürgerschaft, Bürgerrechte für Ausländer, Kampf gegen rechtsradikalen Terror und endlich ein Einwanderungsrecht sind seine Forderungen."Die deutsche Staatsbürgerschaft kann keine Frage des Blutes sein." Vor einem großen Publikum redet er kaum anders als bei der Plauderei mit dem Sektglas in der Hand. Ins Gespräch versunken, bemerkt er beim mehrmaligen Nachschenken den tadelnden Blick seiner Frau ebenso wenig, wie er eine Vorstellung vom exakten Zeitplan seines Besuchs hat.' Er urteilt, hart, aber selten Wirklich polemisch. Ein Denker, der über die Dummheit in den Schaltzentralen der Macht fast körperlich zu leiden scheint Einer, der nicht nur in der SPD erfahren hat, wie wenig seine Worte manchmal ausrichten. Er verstehe sich bei seinen Lesungen als politischer Mensch, sagt er auf dem Weg zur Göttenbach-Aula. Er suche den Kontakt zu den Leuten. Auf die Frage, ob das denn bei solchen Veranstaltungen überhaupt möglich sei, antwortet er: "Ich kann sehr genau beobachten." Mag sein. Aber Zuhören ist heute nicht seine Stärke. Die Fragen des Publikums sind ihm manchmal keine genaue Antwort wert, sondern liefern ihm Stichworte, das zu sagen, was ihm wichtig erscheint. Die rheinische Herzlichkeit eines Heinrich Bölls, der für eine ähnliche Sache stritt, ist ihm meist fremd. Ziemlich abrupt beendet er die lebhafte Diskussion nach seiner Lesung. Als Mensch wirkt er bescheiden, in der politischen Auseinandersetzung oft überheblich. Doch im Kontrast zu ihm wird aber die intellektuelle Verelendung der Tagespolitik überdeutlich. Grass erweckt nicht den Eindruck, als habe ihm sein Besuch in Idar-Oberstein besonderes Vergnügen bereitet. Für ihn ist es wohl eher eine Mission.
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