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Gunter Demnig „STOLPERSTEINE – Spuren und Weg“

Gunter Demnig „STOLPERSTEINE – Spuren und Weg“
Informations- und Diskussionsveranstaltung mit dem Initiator des europaweiten Gedenkprojekts „Stolpersteine“
Samstag, 25. Juni 2016, 19 Uhr, Bibliothek des Göttenbach-Gymnasiums, I-O/Weierbach

Die Stolpersteine sind sein Lebenswerk
Holocaust Gunter Demnig verriet viel über sich und sein Mahnmal

Idar-Oberstein. Den ganzen Tag über hatte er in St. Ingbert, Tiefenstein und Oberstein bei herbstlich anmutendem Schmuddelwetter „Stolpersteine“ verlegt. Trotzdem nahm er sich am Abend noch die Zeit, um in der Bibliothek des Weierbacher Göttenbach-Gymnasiums auf Einladung der Vereine Die Schnecke und Schalom über sich, seine Kunst und sein beispielloses Gedenkprojekt für die Opfer der nationalsozialistischen Diktatur zu berichten: Gunter Demnig, 68 Jahre alt, Künstler mit Atelier in Köln und an mehr als 250 Tagen im Jahr kreuz und quer in Deutschland und dem benachbarten Ausland unterwegs, um für das größte dezentrale Mahnmal der Welt Stolpersteine zu verlegen.
Eigentlich hätte er Pilot werden sollen und hatte schon die Eingangsprüfung bestanden, ehe er zum Entsetzen seiner Eltern entschied: „Ich werde Künstler!“ Doch auch im Kunstbereich hielt er sich nicht lange mit herkömmlichen Arbeiten auf und entwickelte sich im Berlin der unruhigen 1960er-Jahre zielstrebig zum politischen Aktionskünstler. Dabei handelte er sich prompt für sein erstes öffentliches Werk, das die US-Flagge mit Totenköpfen statt Sternen zeigte, eine mehrstündige Festnahme ein. Bundesweites Aufsehen erregte er.
1985 schuf Demnig eine bleierne „Friedensrolle“, auf der sämtliche 1220 völkerrechtlich gültigen Friedens- und Freundschaftsverträge von 2260 v. Chr. bis 1981 festgehalten waren. Immer mehr näherte er sich der künstlerischen Ausdrucksform, die schließlich in das Stolperstein-Projekt mündete: 1990 legte er zum 50. Jahrestag der Deportation die Farbspur „Mai 1940 – 1000 Roma und Sinti“ durch Köln und erinnerte daran, dass die bürokratiebesessenen NS-Mörder exakt 1000 Sinti und Roma pro Transport in die Vernichtungslager schickten.
Als Mitarbeiter für das Buch „Kunstprojekte für Europa“ mit dem Untertitel „Größenwahn“ gesucht wurden, meldete sich Demnig mit seiner Stolperstein-Idee und dachte sich: „Sechs Millionen Steine für sechs Millionen ermordete Juden, das ist größenwahnsinnig genug.“ Der Kölner Pfarrer Kurt Pick nahm den politisch-konzeptionellen Künstler beim Wort und meinte, der könne ja erst mal klein anfangen. So kam es zur Umsetzung der Idee von den kleinen Betonwürfeln mit den auf der Oberfläche eingelassenen Messingschildern, die im Bürgersteig oder in der Straße vor der letzten frei gewählten Wohnung von NS-Opfern verlegt werden. Seit 2001 widmet sich Demnig fast nur noch diesem Projekt. Dass ihm keine Zeit mehr für die Umsetzung anderer Kunsteinfälle bleibt, empfindet er nicht als Verlust, denn: „Die Erfahrungen, die man so sammelt, die Menschen, denen man begegnet, geben mir viel mehr, als mir genommen wird.“
58 500 Stolpersteine sind bislang verlegt worden. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich, den Niederlanden, Polen, Norwegen und anderen europäischen Ländern. Tatsächlich sind Stolpersteine, wie Demnig in der Diskussion auf Nachfrage erläutert, für alle Opfer der NS-Gewaltherrschaft gedacht. So kann er sich durchaus vorstellen, dass in Weierbach ein Stolperstein für jenen Soldaten verlegt wird, der, nachdem er trotz wiederholter Urlaubsgesuche nicht nach Hause durfte, um seinen kurz zuvor geborenen Sohn zu sehen, gegenüber Kameraden in Italien die Erwartung äußerte, der Krieg sei bald aus und daraufhin im Februar 1945 erschossen wurde.
Ausdrücklich betonte Demnig, seine Stolpersteine seien keine Grabsteine. Daher sehe er kein Problem darin, über sie zu gehen. Das erhalte sogar den Glanz der Messingplatten und mache deren Inschrift noch lesbarer. Zudem veranlassten die Steine zahlreiche Passanten, sich zu verbeugen oder niederzuknien, um die Beschriftung lesen zu können. Dies sei eine durchaus gewollte Ehrenbezeugung gegenüber den Opfern.

Axel Redmer

Nahe Zeitung vom Freitag, 1. Juli 2016, Seite 24