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Mittwoch, 11.05.2016, 20 Uhr, Heinzenwies-Gymnasium Idar-Oberstein Jeder Satz klingt wie eine Proklamation Literatur Feridun Zaimoglu las auf Einladung der „Schnecke“ in der Aula des Heinzenwies-Gymnasiums
Von unserer Mitarbeiterin Ilona Brombacher
Idar-Oberstein. Kaum ist das Pressefoto am Lesetisch auf der kleinen Bühne der Heinzenwies-Aula im Kasten, entscheidet sich Feridun Zaimoglu noch vor Beginn der Veranstaltung, dem Publikum näherzurücken. So wird kurzerhand der Leseplatz von der Bühne heruntergeholt, samt Mikrofon und Wasserglas: ganz nah dran am Volk will er sein. Der Autor, der auf Einladung des Kulturvereins „Die Schnecke“ gekommen ist, spricht sein Publikum direkt an. Er fühlt sich wohl in der Runde, das ist deutlich. Er hat Spaß am Lesen, gestikuliert dabei empathisch, fast rhythmisch, als sei sein Roman eine Oper, dessen Intonation er dirigiert. Dabei klingt jeder Satz, jede Aussage wie eine Rede, wie eine Proklamation, die in ihrer Betonung auch die letzten Zweifel ausräumen muss, ein Ausdruck könnte zufällig gewählt worden sein. Der gebürtige Türke Zaimoglu, der in Deutschland aufgewachsen ist und seit mehr als 30 Jahren in Kiel lebt, ist ein Mann der Sprache. Der deutschen Sprache, wie er humorvoll verkündet. Den Vorwurf, er sei „überassimiliert“, kontert er gelassen, er sei einfach nur deutsch geworden und Deutsch zu seiner Sprache. Von der türkischen Herkunft zeugt nur noch sein Name, dem er schon 1995 bei seinem ersten Buch den türkischen Dehnbalken über dem „g“ genommen hat, um Ausspracheschwierigkeiten vorzubeugen. „Verrat“, „Deutschtümelei“ und andere üble Nachreden aus den eigenen Reihen der türkischen Migrationskultur ließen nicht lange auf sich warten, tangieren ihn jedoch nicht. Authentisch ist Feridun Zaimoglu, ehrlich und geradeaus, was ihn ungeheuer sympathisch macht. Selbst für diejenigen im Publikum, die seiner „ungewöhnlichen, aber faszinierenden Vortragsweise“ nicht so gut folgen mochten, es eher anstrengend fanden, dem Inhalt seiner Saga um den deutschen Bub Wolf ins Istanbul von 1939 zu folgen. Während die meisten Zuhörer auch in der Diskussionsrunde nach der Pause bei Cocktails und Schlangestehen für ein Autogramm mehrfach eben dieses außergewöhnliche Vorlesen lobten, mochte der Funke der Begeisterung nicht bei allen überspringen. Einigkeit herrschte jedoch über die beeindruckende Wortgewalt des Autors, seinen Sprachwitz und seinen fantasievollen Umgang mit den Worten. So stach Zaimoglus Beschreibung des Alphabets aus der Sicht des kleinen Wolf hervor, die herzhaftes Lachen nach sich zog. Auch die Schulszene im Siebentürmeviertel Istanbuls, in der sich die Autoritäten der Lehrerin und des Direktors im Wettbewerb um den Schülerrespekt ereifern, strotzt nur so vor bedeutungsvollen und hintergründigen Formulierungen, die von den Gästen in der Heinzenwies-Aula begeistert aufgenommen wurden. Das Bombardement an Wortgewalt ist dabei keine leichte Kost, und so mancher Satz bräuchte seine Zeit, ordentlich verdaut zu werden. „Was für ein Feuerwerk an Worten und Gedanken!“, kommentierte Armin Peter Faust in der anschließenden Diskussionsrunde, selbst Autor, und lobte den Roman als eine gelungene Mischung aus „Tausendundeiner Nacht“ und Günter Grass‘ Oskar Matzerath aus der „Blechtrommel“. Der Deutsche mit dem türkischen Namen bedankte sich gerührt für das Kompliment, mit dem Nobelpreisträger verglichen zu werden. Humorvoll und doch äußerst auskunftsfreudig, beantwortete Zaimoglu selbst Fragen, die gar nicht gestellt wurden, Stichworte nutzte er als Sprungbrett, um klarzumachen, wie er schreibt und was er nicht braucht: „Ich bin sehr altmodisch beim Schreiben: ohne PC, ohne Ablenkung, ohne Lesen ähnlicher Literatur nach der Recherche, an der Schreibmaschine. Ich schreibe so anständig wie möglich. Ich schlage nicht nach.“ Was ihn treibt? Er will sich einfach nicht langweilen, besonders nicht mit seinen eigenen Texten. Dass er in der Türkei nicht ganz so erfolgreich ist wie in Deutschland, wundert ihn nicht, sind seine Werke und sein kritisches Engagement der restaurativen Regierung Erdogans und ihrer Gefolgschaft ein Dorn im Auge. Feridun Zaimoglu. Langweilig? Niemals.
Nahe Zeitung vom Freitag, 13. Mai 2016, Seite 21
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