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Keiner stottert so wie Hildebrandt Kultur Walter Sittler wandelt vor rund 500 Besuchern auf den Spuren des Kabarett-Altmeisters
Von unserem Redaktionsleiter Stefan Conradt
Idar-Oberstein. Es wird niemals wieder so sein, wie es mal war ... Aus „bekannten Gründen“ sei der Autor „langfristig verhindert“, erläuterte Sittler zu Beginn, warum er und nicht Dieter Hildebrandt auf der Bühne des fast ausverkauften Idar-Obersteiner Stadttheaters erschien. Der 63-Jährige, der bereits mit seinem erfolgreichen Erich-Kästner-Programm in Idar-Oberstein gastiert hatte, enttäuschte bei der Veranstaltung des Kulturvereins „Die Schnecke“ seine Fans und die von Hildebrandt nicht. „Letzte Zugabe“: Der Name ist Programm. Gut zwei Stunden verband der in Stuttgart lebende Grimme-Preisträger alte und neue, vom Altmeister kurz vor seinem Tod zu Papier gebrachte Texte zu einem ebenso geistreichen wie witzigen und unterhaltsamen Abend. Für Fans von Sittler dürfte das ein Hochgenuss gewesen sein. Der Schauspieler ist ein begnadeter Rezitator. Wer außer ihm hätte sich an ein solches Unterfangen gewagt, nicht nur Texte im Hildebrandt-Duktus zu rezitieren und die Überfigur des deutschen Kabaretts der vergangenen Jahrzehnte dabei auch noch schauspielerisch darstellen zu wollen? Für Hildebrandt-Fans hingegen blieb das Vergnügen ein wenig zwiespältig: Für sie schwang an diesem Abend bei jedem Lacher stets ein Gefühl von Traurigkeit mit. Es wird eben niemals wieder so sein, wie es mal war ... Die Auslassungen, die schnellen Verbesserungen vermeintlicher Versprecher, die Stotterer, das exakte Timing der oft kunstvoll verschachtelten Texte – das bekam eben nur einer so richtig hin. Und den werden wir niemals mehr auf einer Bühne erleben können. Überdeutlich wurde die Ambivalenz des Unterfangens im Zugabenteil der „Letzten Zugabe“, da gab es – natürlich – das berühmte Matthias-Claudius-Gedicht „Abendlied“ aus dem Munde von Altkanzler Helmut Kohl: „Der Mond, meine Damen und Herren, und das möchte ich hier in aller Offenheit sagen, ist aufgegangen.“ Auch hier galt: Klar war das eine prima Interpretation von Sittler, aber – na ja, Sie ahnen, worauf ich hinaus will ... Was Hildebrandt-Fans ebenfalls vermissten, waren dessen stets aktuellen Einschübe, seine Reflektionen der aktuellen Nachrichtenlage, die bissigen Kommentare zum Treiben in Berlin, und so blieben Themen wie AfD, Pegida, Flüchtlingswelle und Lügenpresse an diesem Abend unangesprochen. Hildebrandt dürfte sich im Grabe herumwälzen angesichts der Fülle an Themen, die nun unkommentiert bleiben müssen. Sittler hat in der „Letzten Zugabe“ gemeinsam mit Hildebrandts Witwe Renate Küster das Lebenswerk des Altmeisters eindrucksvoll zusammengefasst, der Schauspieler führt den Zuhörern Hildebrandts lebenslänglichen satirischen Kampf gegen die Großkopferten vor Augen, der natürlich nie zu handfesten Konsequenzen führte. Oder vielleicht doch? „Meine Texte haben ja oftmals nach Jahren noch Gültigkeit, während die Zeitgenossen, die ,Zeit und Politik gestalten', wie sie immer formulieren, inzwischen reihenweise aus der Kurve geflogen sind“, sagte Hildebrandt einmal in einem Zeitungsinterview. So waren es denn neben einem letzten Programmentwurf, den der Münchener kurz vor seinem Tod im November 2013 fertiggestellt hatte, zeitlose Texte und Einwürfe aus mehreren Jahrzehnten, die Sittler da gekonnt vortrug. Dafür gab es am Ende zu Recht viel Applaus von einem zufriedenen Idar-Obersteiner Publikum.
Nahe Zeitung vom Dienstag, 19. Januar 2016
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