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Nahe-Zeitung, 08.05.1989 Nur die Bahnverbindung war mangelhaft Kulturverein "DieSchnecke" auf Kultur-Tour in Wien - Beeindruckende Begegnungen
IDAR-OBERSTEIN. Mit einer dreitägien Fahrt nach Wien setzte der Kulturverein "Die Schnecke" die Reihe seiner Städtereisen fort. Bereits auf der Fahrt in die Donaumetropole wurde die "Schnecken"-Reisegruppe ein Opfer der mangelhaften Bahnverbindung des oberen Naheraumes. Dreieinhalb Stunden ließ in Mainz der Anschlußzug auf sich warten.
Am Ankunftsbahnhof befand man sich an historischer Stätte. Vom Wiener Westbahnhof fuhr am 1. April 1938 der erste Transport österreichischer Häftlinge ins KZ Dachau. Hermann Langbein, ehemaliger Schauspieler und einer der sachkundigsten Kenner des Lagerlebens in Frankreich und Deutschland, berichtete im Bezirk Favoriten über seine Internierung in St. Cyprien, Gurs, Le Vernet, Dachau, Auschwitz und Neuengamme. Befragt, warum er nach 1945 nicht mehr als Schauspieler tätig geworden sei, löste Langbein mit seiner Antwort Betroffenheit aus: Nach Auschwitz kann man nicht mehr schauspielen!"
Daß es Sehenswürdigkeiten gibt die typischer für Wien sind als Ringstraße, Stephansdom und Hofburg, bewies eine dreistündige Stadtrundfahrt zu den Stätten des ,roten Wien". Vorbildliche kommunale Wohnanlagen der 20er Jahre, die bis heute weltweit einmalig geblieben sind, zeigten eine humane Alternative zum .,sozialen Wohnungsbau" der Nachkriegsjahrzehnte. W e Geschichte vermittelt werden kann, bewies die SPÖ-Ausstellung Die ersten 100 Jahre " im Gasometer, einem Industriedenkmal im n Bezirk Simmering. Neben Historikern hat man für den Aufbau der Ausstellung auch Theaterbühnenbildner gewinnen können.
Der Künstler Georg Eisler zeigte den "Schnecken" in seinem Atelier einige neuere Gemälde, die er für eine geplante Ausstellung über Menschenmassen angefertigt hat Besonders beeindruckend sind - seine Darstellungen des Fußballunglücks von Sheffield und des Leichenzuges der letzten österreichischen Kaiserin.
Was wäre ein Aufenthalt in Wien ohne Theaterbesuch ? Da Claus Peymann umstrittene Heldenplatz-Inszenierung ausgesetzt war, bot sich neben dem Burgtheaterklassiker Nestroy ("Umsonst") Thomas Bernhard am- Zu Bernhard Minettis 80. Geburtstag hatte Thomas Bernhard das Stück "Einfach kompliziert" geschrieben und dem Jubilar erlaubt- Machen Sie damit was sie wollen." Jetzt darf Minettis die Wiener im Akademietheater mit dem ungeliebten Bernhard begeistern - aber nur bis zum Ende der Spielzeit Danach dürfen die Stücke des vor wenigen Monaten verstorbenen Dichters laut Testament in Österreich nicht mehr aufgeführt werden.
Wenn es nach dem Wunsch der "Schnecke" geht gibt es schon bald ein Wiedersehen mit- zwei der Wiener Gesprächspartner. Noch vor der Sommerpause soll in Idar-Oberstein ein Diskussionsabend mit Hermann Langbein organisiert werden. Außerdem ist eine Ausstellung mit Grafiken von Georg Eisler geplant.
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