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Nahe-Zeitung, 19.03.1996 Der Untertitel warnt vor Blauäugigkeit "Störverdacht" heißt das neue, ansprechend aufgemachte Buch von Albert Pütz
IDAR-OBERSTEIN. Das neue, ansprechend aufgemachte Buch von Albert Pütz trägt den Titel "Störverdacht" und den Untertitel "Erkundigungen über Durchreisende". Beides klingt rätselhaft - und macht neugierig: Wer "stört" hier wen? Wer erregt, wer schöpft "Verdacht"? Wer zerstreut, wer erhärtet ihn durch "Erkundigungen"? Das 190seitige Buch ist im Gollenstein-Verlag, Blieskastel, erschienen. Markante, von Hajo Müller gezeichnete Porträts leiten die elf, teilweise erstmals veröffentlichten Texte ein. Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis macht klar, wer mit den unter "Störverdacht" stehenden "Durchreisenden" gemeint ist: Es handelt sich durchweg um Männer (Gibt es keine "störenden" Frauen?), die zeitweilig im Mosel-, Rhein- und Hunsrückraum lebten, dort politisch, künstlerisch oder wissenschaftlich wirkten und vom Autor teils beschreibend, teils erzählerisch vorgestellt werden. Einer dieser unter "Störverdacht" stehenden Männer ist beispielsweise Guillaume Apollinaire mit seinem deftigen "Schinderhannes"-Gedicht von 1902 oder der Hunsrückpfarrer Matthias Tressel, der nach der Jahrhundertwende unter dem Pseudonym Ernst Thrasolt Gedichtbände herausgab. "Durchreisend" und "verdächtig" ist der "Evangelist des 3. Reiches", Friedrich Sieburg, der seine Verbannungszeit in Birkenfeld als seine "gespenstische Birkenfelder Episode" charakterisiert, oder der Revolutionär Karl Emmermann aus Dhronecken, der "mit dem Nibelungenlied Unsinn treibt" und als "großer schweifender Jäger" in Graubünden zur Ruhe kommt. General Pershing "stört", als er 1918 in Kempfeld im Haus Herrenflur Quartier nimmt; "erkundigungswert" ist Ludwig Gall, der unverkäuflichen Moselwein "veredelt" und so zum erfinderischen Vorläufer des 150 Jahre später an der Nahe praktizierten Verfahrens wird, bei dem "in Kellern und Containern bei zwanzig Grad Celsius harte Apfelsäure in milde Milchsäure umschlägt". . .
Parabel über die Macht Zwei Texte - gleichermaßen sinnschwer und lehrhaft - fallen aus dem Rahmen. "Diadochenweisheit mit Halsgericht" erweist sich als eine Art Parabel über Macht und Herrschaft, überzeitlich angesiedelt im Lande Bir (!). "Hat Jura studiert" thematisiert Umweltprobleme und beschreibt einen "Menschen reinsten Wassers", der mit Wein getauft wurde und Wasserproben untersucht, um den Bewohnern des Landes "reinen Wein einzuschenken". (Unschwer ist in diesem Text das Selbstporträt von Albert Pütz zu erkennen.) Überraschenderweise ist das Buch "Störverdacht" in zwei Teile untergliedert. Den 130 Seiten mit den elf Personenkapiteln folgen 56 (!) Seiten mit "näheren Hinweisen": Sie enthalten säuberlich gegliedert dokumentarische Fotos, Zeichnungen, biographische Informationen, Worterklärungen und Literaturangaben. Mißtraut der Autor der Eindringlichkeit seiner dichterisch überformten Personendarstellungen, indem er "harte Fakten" nachschiebt? Ist "Störverdacht" ein Geschichts- oder Geschichtenbuch? Keines von beiden? Oder beides?
Sympathie für die Störer Eines steht fest: Das neue Buch von Pütz fordert zum Lesen, aber auch zum Blättern auf. Es ist überwiegend einem sachlichen Stil verpflichtet. Ob Pershing, Sieburg oder Emmermann - die Art, wie Pütz seine "Störverdächtigen" dargestellt hat, erfüllt nicht die Erwartung einer Biographie fantastischer Merkwürdigkeiten. Der Erzähler, der Wortfinder und -erfinder steht im Hintergrund. Dennoch verbirgt er auch als Berichterstatter nicht, auf welcher Seite er steht. "Wenn es im Land", so heißt es in der Parabel "Diadochenweisheit" in satirisch negierter Form, "folgende Übel gibt: gegenseitige Achtung, Rücksicht, Lyrik, Erzählungen, Brüderlichkeit, Güte und Philosophie - dann kann der Herrscher nicht durchsetzen, daß das Volk in den Kampf zieht." Pütz' Sympathien gelten den "Störern": den Künstlern, den Denkenden, den Demokraten, den Friedliebenden. Der Untertitel des Buches aber warnt vor Blauäugigkeit: Zuvor sollte man "Erkundigungen" einholen. Eiko Donay
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