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Nahe-Zeitung, 08.03.1996 Die Entwurzelung ist sein roter Faden Der jüdische Schriftseller Hans Keilson und sein Werk: "Wie konnte es dazu kommen?"
IDAR-OBERSTEIN. LUD. Das literarische Schaffen Hans Keilsons wurzelt im Interesse, "was Menschen einander antun". Der jüdische Emigrant las im Rahmen der "Woche der Geschwisterlichkeit" im Badischen Hof Gedichte und Auszüge aus seinen Romanen. Rund dreißig Interessierte lauschten den Ausführungen des 86jährigen Psychoanalytikers, der auf Einladung des Kulturvereins "Die Schnecke" nach Idar-Oberstein kam. Schnecke-Vorsitzender Axel Redmer wies in seinen einleitenden Worten darauf hin, daß Exilschriftstellern die ihnen im Ausland zukommende Beachtung in Deutschland häufig verwehrt bliebe. Der Fall Keilson bestätige dies. Der Fischer-Verlag nahm erst vor kurzem die schon 1947 erschienene Novelle "Komödie in Moll" wieder ins Programm auf. Zu diesem Anlaß wurde Keilson aufgefordert, ein Nachwort zu schreiben; was in ihm das Gefühl hervorrief, "vielmehr einen Nachruf" zu verfassen.
Erstes Buch 1933 1933 erschien sein erstes Buch, "Das Leben geht weiter", eine - wie die zwei folgenden Werke auch - Selbstanalyse im Kontext der Judenverfolgung. Ein Jahr später kam das Buch auf die Verbotsliste: "Mein Einstieg in die Literaturlandschaft war zugleich der Ausstieg." Im Jahr 1936 emigrierte Keilson mit seiner Frau Gertrud Manz nach Holland, wo er sich seiner Ausbildung zum Psychoanalytiker widmete und erst 1979 mit einer Arbeit über Traumatisierungen jüdischer Kinder promovierte. Zwischenzeitlich, im Jahre 1962, befand sich Keilsons drittes Buch, "Der Tod des Widersachers" auf der Liste der zehn wichtigsten Veröffentlichungen des "Time-Magazine". Die Thematik der Entwurzelung zieht sich wie ein roter Faden durch seine Publikationen - in der "Komödie in Moll" veranschaulicht durch das Bild des Rucksacks, "einem kleinen Globus voller Erfahrungen". Das sorgfältige Planen seines Vaters, wie er den Rucksack am besten packt, hat selbstschützende Funktion. "Es sollte die Angst niederhalten vor dem, was kommt." Keilsons Eltern starben in Birkenau. In seinen Gedichten reflektierte der Autor, grob gefaßt, die Verstrickungen seiner eigenen, der jüdischen und der deutschen Geschichte aus psychoanalytischer Sicht. Ihn beschäftigt bis heute, "wie es dazu kommen konnte", wie normale Menschen in einen solchen "Wahn verfallen konnten"; "was Menschen einander antun" können.
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