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"Joe, mach die Musik von damals nach . . ." Homage zum 100. Geburtstag von Bertolt Brecht mit Eva-Maria Hagen, Brecht-Schülerin und Mutter der Rocksängerin Nina Hagen 01.12.1998, 20.00 Uhr Idar-Obersteiner, Göttenbach-Aula
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Nahe-Zeitung, 03.12.1998 Eva-Maria Hagen erweckte mit ihren "Ständchen" zu Bert Brechts 100. Geburtstag den alten Meister zu neuem Leben Mit viel Sinn für Politik und Liebe
Worte zu Bildern, Geschichten zu Geschichte Einen begeisternden Auftritt lieferte Eva-Maria Hagen mit ihrem Brecht-Abend in der Göttenbach-Aula. Von Jörg Staiber
IDAR-OBERSTEIN. Als so haltbar wie die Graugans, die Bert Brecht in einem seiner Lieder verewigte, bezeichnete Eva-Maria Hagen in ihren einführenden Worten die Texte Brechts. In der Tat erwiesen sich selbst solche scheinbar "überholten" Lieder wie das "Wiegenlied einer proletarischen Mutter", in denen nicht nur von Hunger und Elend, sondern auch von Marx und Lenin als Hoffnung der Unterdrückten die Rede ist, als beklemmend und aktuell. Der Blick aus der Perspektive einer Mutter, die nicht weiß, was sie ihrem Neugeborenen zu essen geben soll, ging mehr unter die Haut als so manche gut gemeinte Reportage über die aktuellen Hungerkatastrophen dieser Welt. Dies war vor allem das Verdienst der großartigen Interpretationskunst der Sängerin und Schauspielerin Hagen, die weitaus mehr tat als die Brechtschen Texte in Vertonungen von Eisler, Weill, Dessau und Biermann zu singen - sie ließ sie lebendig werden, ließ mal durch sparsame, mal durch ausladende Gestik und Mimik aus den Worten Bilder entstehen, aus den Bildern Geschichten - aus den Geschichten ein Stück Geschichte. Die "große" Geschichte der Geschichtsbücher wird im Brennglas der Lieder und Balladen zur vom kleinen Mann und der kleinen Frau durchlebten und -littenen. Etwa im "Lied vom Weib und dem Nazi-Soldaten", welches zunächst in makabrer Fröhlichkeit die von Deutschland okkupierten Länder anhand der Souvenirs abschreitet, die der Soldat seiner Braut mitbringt: Schuhe aus Prag, Spitzen aus Brüssel, ein seidenes Kleid aus Paris. Erst als der Witwenschleier aus Rußland kommt, offenbart sich die Katastrophe. All das bringt Eva-Maria Hagen mit sehr viel Sinn für das Theatralische in den Texten, aber auch mit ungeheurer Sensibilität für Zwischentöne rüber. Zu wahrer Hochform aber läuft sie auf, wenn es um die Liebe in ihren vielfältigen Variationen geht - der wahren, der gekauften, der gefährlichen, der erloschenen, der triebhaften. "Ich bin etwas durcheinander, ich habe ein bißchen zu viel Gefühl eingesetzt", entschuldigte sich die Hagen einmal für einige Textunsicherheiten. Die entschuldigte das Publikum aber gerne, was nicht nur der anhaltende Schlußbeifall zeigte. Zumal sie ihr Brecht-Programm auch schon einige Monate nicht mehr gespielt hat, da sie mit dem vielgelobten Buch "Eva und der böse Wolf" - ihr (Liebes-)Briefwechsel mit Wolf Biermann - auf "Tournee" ist.
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