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Nahe Zeitung vom 23.03.2006 Melancholie ist seine Lieblingsstimmung Liedermacher Hannes Wader hat nach wie vor eine große Fangemeinde in und um Idar-Oberstein
IDAR-OBERSTEIN. Das "Schön, wieder hier zu sein" hat dem ambivalenteren "Heute hier, morgen dort" Platz gemacht. Doch außer dem Auftrittssong hat sich wenig geändert in fast 45 Liedermacher-Jahren. In "wechselnden Zeiten" - so der Titel seines jüngsten Studio-Albums - bleibt Hannes Wader ganz der Alte.
Schon der Begrüßungsapplaus im nicht ganz ausverkauften Stadttheater ist lange und herzlich: Knapp 600 Besucher freuen sich als Gäste des Kulturvereins "Die Schnecke" auf Hannes Wader, Deutschlands dienstältesten Liedermacher. Mit einer Auswahl von alten, neuen und drei ganz neuen Liedern ist der 63-Jährige endlich mal wieder auf Tour, seiner immer noch beträchtlichen Fan-Gemeinde zu geben, was sie begehrt. Wer den spröden Ostwestfalen kennt, weißt, dass auch dies mehr sein wird als eine simple "Greatest Hits"-Zusam- menstellung.
Wader nimmt seine Zuhörer mit auf eine Reise quer durch die Zeiten, schildert öde Sonntagnachmittage einer Jugend in den Nachkriegsjahren ("Nach Hamburg"), düstere Traumbilder einer Amerika-Reise in den späten Siebzigern ("Hotel zur langen Dämmerung"), Wandervogel-Romantik und beglückendes Naturerlebnis, die er jüngst mit Freunden bei Streifzügen in den Wäldern der nördlichen Vogesen ("Am hölzernen Brunnen") fand. Der oft so grimmig dreinblickende Sänger und Gitarrist hat sich auf seine alten Tagen fast zu einem charmanten Plauderer gewandelt. Lächelnd und nicht ohne Selbstironie nennt er tiefe Melancholie seine Lieblingsstimmung und lässt in der darauf folgenden düsteren Ballade ("Wieder eine Nacht") die im Lichtschacht gefangene Taube zur Metapher werden für das "Land-Ei" Wader im Moloch der Millionenstadt Berlin.
Fast chronologisch geht es weiter: Die wilden 60er-Jahre in der geteilten Stadt, die Flucht aufs Land, der trügerische Frieden ("Stimmen überm Fluss"), der vor der Jahrtausendwende das Land befällt... Mit der etwas sperrig geratenen Geschichte seiner Familie, die bis auf eine Ausnahme - er selbst - stets bekennende Sozialdemokraten waren, entlässt der Liedermacher sein Publikum in die Pause.
Mit einem weiteren Wader-Ohrwurm geht"s in die zweite Runde. Wer beim Halbzeit-Sekt darüber sinnierte, welcher Song von mittlerweile mehr als 30 Alben wohl noch zu hören sein werde, darf jetzt fleißig Häkchen machen. Bei "Trotz alledem" haben bissige Kommentare zu Globalisierung und Neo-Liberalismus die Freiligrath-Zeilen aus dem 19. Jahrhundert ersetzt. "Milliardäre", auf dem 2004 veröffentlichten letzten Studio-Album noch ein flotter Reggae, wird wieder zum Wader-typischen Talking Blues. Den "Rattenfänger" hat er in diesem Frühjahr speziell fürs Hamelner Publikum eingeübt. Auch die Idar-Obersteiner bekommen die Ballade von den Kindern, die sich gegen das Unrecht der Welt auflehnen, zu hören - ein grandioser Schlusspunkt eines grandiosen Konzerts. Dem minutenlanger Beifall folgen drei Zugaben. Und ganz am Ende "Bellheims Nachtlied" als Betthupferl für ein zufriedenes Publikum. (Klaus-Peter Müller)
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