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Nahe Zeitung vom 03.06.2006 Hackl bemüht sich um Verständigung "Aspekte"-Preisträger las im Gymnasium
IDAR-OBERSTEIN. Der Wiener Autor Erich Hackl las als Gast des Kulturvereins "Die Schnecke" im Gymnasium Heinzenwies aus seinem Erzählband "Anprobieren eines Vaters" und gab danach in einem Werkstattgespräch ausführlich Auskunft über seine literarische Arbeitsweise. Als unzeitgemäß wirkenden Autor, dessen Texte zeitlos aktuell seien, stellte Schnecke-Vorsitzender Axel Redmer den 32-jährigen Schriftsteller vor. Dessen neuestes Buch "Anprobieren eines Vaters" fasst Vor- und Nachworte, Würdigungen, Nachrufe, Porträts und Reportagen aus den Jahren 1997 bis 2003 zusammen, die wie Miniaturen seiner bekannten Werke "Auroras Anlaß", "Abschied von Sidonie" und "Die Hochzeit von Auschwitz" wirken: exakt recherchierte, einfühlsame Darstellungen von oftmals extremen Lebensläufen. "Geschichte eines Versprechens" - die Erzählung, aus der Hackl im Heinzenwies-Gymnasium las - unterscheidet sich grundlegend von den anderen Geschichten des Autors. Abweichend von seinem sonst sehr konsequent eingehaltenen Chronikstil entwickelt Hackl mit zeitlichen, örtlichen und thematischen Sprüngen ein über weite Passagen hinweg diffus anmutendes Porträt eines Mannes, das sich erst zum Schluss erhellt. Die innere Aufgewühltheit des Protagonisten verleiht dem eigentlich "unerzählbaren Bericht" der mit einem Decknamen versehenen Hauptperson die Dynamik, die die Zuhörerinnen und Zuhörer fesselt. Nach schwerer Kindheit und einer Odyssee durch nationalsozialistische KZs findet Wilhelm Gubi die Kraft und Stärke, ein kleines Mädchen, dessen Mutter die Nazis ermordeten, zu sich zu nehmen. Von Frankreich nach Chile ausgewandert, wächst Leni bei ihren Pflegeeltern auf, ohne jemals ihre Herkunft zu erfahren. Hackl richtet nicht über den Pflegevater, der der Tochter ihre wahre Identität vorenthält. Er sieht sich, wie er in der anschließenden Diskussion unterstreicht, nicht als denjenigen an, der Schlussfolgerungen oder Wertungen vorzunehmen hat. Gewissenhaft und sehr detailversessen recherchiert er und legt nach literarischer Aufbereitung seiner Sujets alle Textentwürfe vor der Veröffentlichung den jeweiligen Informanten zur Überprüfung und eventuellen Korrektur vor. Hackl, der sich schriftstellerisch in der Tradition von Johann Peter Hebel, Bertolt Brecht und Anna Seghers sieht, empfindet seine Bücher als "Bemühen um Verständigung", nicht aber als Anklage oder Schuldzuweisung. In der Regel belässt er seinen Personen die Originalnamen und schafft so literarisch höchst anspruchsvolle Denkmäler, getreu René Schickeles Auffassung, dass erst diejenigen tot sind, deren Namen "gelöscht" wurden. (sr)
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