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Birkenfelder Anzeiger, 23. November 1983 Sind wir zum Frieden fähig?
Notizen zu einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung der „Schnecke“ mit Horst-Eberhard Richter „Ihr seid prima Leute“, sagte der Gießener Arzt, Psychotherapeut und erfolgreiche Sachbuchautor („Lernziel Solidarität“, „Die Gruppe“, „Flüchten oder Standhalten“) Horst-Eberhard Richter, beim Abschied gegen Mitternacht zu den Leuten von der „Schnecke“, die ihn eingeladen hatten. Wenige Stunden zuvor hatte Horst-Eberhard Richter vor rund 200 Zuhörern in der Aula der alten Göttenbach in Idar-Oberstein ein prima Referat gehalten. Darin legte Richter dar, dass die moderne Unfähigkeit, Angst auszuhalten und die daraus folgenden Verdrängung von Ängsten zu einem „größenwahnsinnigen Bemächtigungsdrang“ führen muss, der seinerseits uns am Ende gerade der Bedrohung ausliefert, gegen die er Sicherheit schaffen sollte. Die einzige Möglichkeit, die „sonst unheilbare Krankheit des Abschreckungswahnsinns“ zu überwinden, ist nach diesem Gedankengang ein Zurückfinden der Menschen zu einer „wirklichkeitsgerechten“ Angst, einer Angst, die in der Friedensbewegung offen ausgesprochen wird und die es ermöglicht, die drei großen Ablenkungstechniken: das Beschwichtigungsgerede, die Raketenrechnerei und die Verfolgungstheorie als Ablenkungstechniken zu durchschauen.In der anschließenden Diskussion blitzte ein Gedanke auf, der es wert ist, weiterverfolgt und zu Ende gedacht zu werden. Ein Diskussionsteilnehmer sprach vom „alten Knigge“, von den alten, vordemokratischen Benimmregeln also, denen es den „neuen Knigge“ des selbstbewussten Demokraten entgegenzusetzen gilt: Unhöflich, taktlos, ungehobelt, respektlos, ungeschliffen ist es, seiner Umgebung, dem Vorgesetzten und Untergebenen, dem Nachbarn, dem Arbeitskollegen und Sportkameraden die eigene abweichende Meinung zu verheimlichen und sich – komme, was da wolle – bedeckt zu halten. Gelernt werden muss: die neue Höflichkeit, die den anderen ernst genug nimmt, um ihm Unbequemes zuzumuten. So wären wir dann zum Frieden fähig. Werner Schäfer
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