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Nahe-Zeitung, 18.08.1986 Weiches Wasser bricht den Stein Liedermacher auf politischen Pfaden: Apos und Opas demonstrierten gemeinsam
Lokführer Udo war mit Politmacker Willy durchaus zufrieden. Als am Samstagabend der Anti-Atom-Zug über die Loreley dampfte und Nobelpreisträger Brandt sein "Ich habe hinzugelernt. Das Nein zu den Atomwaffen hat sich als richtig erwiesen, das Ja zur Atomenergie als falsch" in die etwa 17 000 Menschen fassende Arena rief, schwang der grüne Lindenberg seinen schwarzen Hut Okay, ihr Roten, ihr Bekehrten, steigt ein zum großen Ausstieg. Nur bitte, macht gefälligst alle geschlossen mit. Was der Wandel bedeuten soll, das hatte Willy Brandt - loreleygemäß - auf Bob Dylans Vers gebracht Der Wind dreht sich", spätestens seit er die Wolken von Tschernobyl über unser Land wehte. Rund fünf Stunden reichten sich Apos und Opas im Rock auf der felsigen Lore die Hände. "Die Kinder von Tschernobyl wollen leben. Und der Rest der Welt will's auch", hieß es in einem Lied. So soll denn der Reinerlös der mit deutschen Spitzenmusikern besetzten Aktion den kleinen Opfern der Atomkatastrophe zugute kommen. Hunderte von Kindern - das jüngste gerade ein paar Wochen alt und an Mamas Brust - demonstrierten mit ihren Eltern und deren zahlreich erschienenen Vätern gegen die mögliche Gefahr; für einen Anfang vom Ende der industriellen Nutzung von Atomenergie" (Brandt). Ein einhelliges Nein danke" donnerte im Chor über das Gelände. "Erst Atomkraft - dann Atomwaffen in Tschernobyl sind 28 Menschen gestorben, das waren 28 Menschen zu viel", so Professor Peter Starlinger (Aktion Wissenschaftler für den Frieden"). Für die Abschaltung aller Atomkraftwerke trat auch Professor Karl Bonhoeffer ("Ärztevereinigung zur Verhütung des Atomkriegs") ein. Bereits der Abwurf einer einzigen Atombombe von der Größe der Hiroshima Bombe" auf das Gebiet der Bundesrepublik würde das gesamte Gesundheitssystem »komplett überfordern". Nach der Atomwolke von Tschernobyl also nun die gigantische KIangwolke von St Goarshausen. Eine Musik-Demo mit Talk-Einlagen brachte Kunst und Politik auf einen Nenner. Die "Bots" aus Holland, seit 1979 stellen sie die Friedens-Avantgarde innerhalb der Rockszene, drückten ihr "We shall overcome" politisch radikal aus. "Das weiche Wasser bricht den Stein", im friedlichen Dauerangriff. Eine Kultband, diese "Bots", deren Musik allerdings weniger kultiviert klingt. Ihr Plus: Mit allen ihren Texten treffen sie Wünsche und Ziele einer Bewegung Frauen nach vorn, die besten Stimmen des Abends kamen aus der weiblichen Rockriege. Herz mit Biß lieferte Anne Haigis (29), sie ließ ihr rauchiges Organ in Balladen zur Pianobegleitung gospeln und bluesen. Die elf Jahr ältere Inga Rumpf brachte den vom musikalischen Aspekt her stärksten Rock - Marke eruptiv. Luschig dagegen ein Tony Carey. Der In Frankfurt lebende Amerikaner - er begleitete Peter Maffay gerade auf seiner Tournee - bot schnell verrinnenden Wischi-Waschi-Pop. Nein, der ganz große Funke, der Tausende von Festivalbesuchern packt, er fehlte. Immer wieder kam es zu leichten Stürmen: So wenn Klaus Lage seine Zeichen an der Wand" malte, Maffay in dynamischem Drive gegen die Eiszeit" und Gefahren für den neuen Tag" ansang. Dauernder Wechsel - vier Songs, der nächste bitte - ließen die Stimmung auf mittlerem Level einpendeln. Ein Chansonnier vom Schlage Klaus Hoffmann zählte zu den Glanzpunkten: Sänger der Innerlichkeit des sehr persönlichen Betroffenseins. Den Balanceakt von Gefühl, Poesie, den schafft der leicht pathetische Hoffmann immer. Rock und Reden gab es, die Rock´n'Roll All Star Band unter Bassist Steffi Stephan begleitete Lindenberg und Maffay, Lage und Kunze als perfekte Varianten". Es gab aber auch: Frischgepreßte Säfte und Melonen. Haribos versüßten den sauren Regen, der Alkohol wirkte - bei vielen dagegen niederschmetternd_ Öko-Freaks hatten ihre Stände neben Green Peace-Vertretern aufgeschlagen. Mit Büchern und Buttons wurde die Atomkraft an allen Ecken geschlagen". Hunderte von Luftballons - Absender .Nein danke" - stiegen an diesem Abend in warme Lüfte. Zu später Stunde wurden den windigen Botschaftern sprühende Wunderkerzen mit auf den Weg gegeben. Ein Funke auf Weitflug in deutsche Lande. Ein riesiger, fast runder Mond stand über dem Gelände. Mitunter war er klar. Dann wieder milchig verhangen: Hinter leicht bedrohlich wirkenden Wolken!
Wolfgang Kroener
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