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Nahe-Zeitung, 13.10.1988 Werkstatt-Gespräch im kleinen Kreis Die Sehnsucht nach einem Zuhause Autorenlesung mit Ota Filip - "Ich bin doch kein Konsalik oder Simmel"
"Ich bleibe lieber stehen. So sehe ich wenigstens, wenn jemand einschläft", meinte Ota Filip bevor er mit seiner Lesung begann. Er hätte sich ruhig setzen können. Denn langweilig wurde der Abend mit dem CSSR-Autor für die etwa 26 (!) Zuhörer in der Göttenbach-Aula nicht. Insbesondere im zweiten Tell, der zu einer Art Werkstatt-Gespräch wurde, sprudelte der 58jährige nur so über von Gedanken und Geschichten. Da machte es großes Vergnügen ihm zuzuhören. Anstrengender war da schon die eigentliche Lesung. Ota Filip, der auf Einladung der "Schnecke" im Rahmen der Kulturwochen las, trug eine Passage aus seinem neuesten Buch "Die Sehnsucht nach Procida" vor. Ein Werk, mit dem er nach eigenem Bekunden bereits abgeschlossen hat Denn sobald ein Werk von ihm gedruckt ist, legt er es innerlich ad acta. Jetzt beschäftige er sich in seiner Gedankenwelt mit neuen Vorhaben wie zum. Beispiel einem Buch zum Thema Haß. Vielleicht lag es an dieser inneren Distanz zu seiner Neuerscheinung, daß er fast gleichgültig rezitierte. Dafür ging er dann in seinen Erklärungen und Randbemerkungen umso mehr aus sich heraus. "Die Sehnsucht nach Procida" sei ein sehr trauriges Buch. Es endet mit einer Apokalypse - ein Symbol für das Scheitern der Menschen aus dein Osten im goldenen Westen. Den Grund für diesen tragischen Untergang sieht Ota Filip in falschen Illusionen über das Leben im Westen. Solchen falschen Illusionen habe er sich selbst nie hingegeben und sich dadurch nach seiner 1974 erfolgten Ausbürgerung aus der CSSR manche Enttäuschung erspart. Seit 14 Jahren lebt er in München. Geblieben ist die Sehnsucht nach einer Geborgenheit und Sicherheit nach einem Zuhause. Der 1930 in Ostrava geborene Ota Filip wurde in den 60er Jahren in der Tschechoslowakei mehrmals verhaftet und zu Zwangsarbeit verurteilt. Zeitweise arbeitete er als Sportreporter, während des Prager Frühlings war er Verlagslektor. Politische Meinungsäußerungen meidet er. Konkrete Hilfen wie zum Beispiel eine neue Schreibmaschine für noch im Osten lebende Freunde und Autoren sind ihm wichtiger als "das ganze Gequatsche über Kommunismus und Sozialismus". Beim Schreiben wolle er auf nichts und niemand Rücksicht nehmen. sich niemand anbiedern. "Ich bin doch kein Konsalik oder Simmel", sagt er und es klingt nicht überheblich. Jedes Buch sieht er als neues Abenteuer. Wenn er abends den Punkt setzt, weiß er noch nicht wie die Handlung am nächsten Tag weitergeht Denn er hat kein konkretes Konzept im Kopf, sondern geht von einer Idee aus, die dann langsam Form annimmt Der dabei ablaufende Prozeß des Schreibens sei ein Spiel mit der Phantasie - immer am Rand des Abgrundes mit der Gefahr des Scheiterns. "Die Sehnsucht nach Procida" sei das erste Buch, in dem er seine Unsicherheit im Westen nicht mit einem satirischen Grinsen überspiele, verrät Ota Filip. Was ihm hier am meisten fehlt? "Er ist die Vergangenheit Alles, was ich im Osten erlebt habe, habe ich dort zurückgelassen!"
Kurt Knaudt
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