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"Wie ist der Fortschritt noch zu retten ?"
Vortrag und Diskussion mit Iring Fetscher
17.02.1988, 20.00 Uhr
Idar-Oberstein, Göttenbach-Aula

Nahe-Zeitung, 19.02.1988
Den Fortschritt neu formulieren
Prof. lring Fetscher fordert Verkürzung der Arbeitszeit und Demokratisierung des Alltags

-ab- Am Mittwoch hielt Professor Iring Fetscher auf Einladung des Kulturvereins ,Die Schnecke" vor etwa 80 interessierten Zuhörern seinen Vortrag zu dem Thema .Wie ist der Fortschritt noch zu retten?" Er sprach sich dabei für eine Neuformulierung des Fortschrittgedankens in Richtung eines naturschützenden und die Ausbeutung ablehnenden Fortschritts aus.

Erst im 19. und 20, Jahrhundert sei es zu einer Verfälschung des Fortschrittbegriffes in Richtung Produktivitätssteigerung gekommen. Doch sei es eine einseitige und falsche Sicht, aus dem Bruttosozialprodukt die Lebensqualität eines Volkes ablesen zu wollen. Fetscher machte dies am Beispiel der Länder der sogenannten 3. Welt deutlich, wo eine gesteigerte Produktivität sogar zu einer Steigerung der Armut geführt habe. Die Bevölkerung müsse jetzt Grundnahrungsmittel kaufen, die sie früher in Eigenproduktion hergestellt habe.

Fetscher hält es für notwendig, aus dieser einseitigen Definition des Fortschrittgedankens auszusteigen, da eine Steigerung der Produktivität gar nicht mehr wünschenswert sei. Er tritt für eine Verzögerung der Arbeitszeit in dein Maße ein, in dem man die Produktivität steigere. Es würde also zu einer Stagnation des Wachstums kommen, da wir nach seiner Oberzeugung bereits an den Wachstum angelangt seien.

Fetscher sieht allerdings auch die soziologischen Grenzen des Wachstums, die sich aus den Werbeversprechen der Konsumgesellschaft ergäben. In der Werbung würden alle Dinge zu einem Luxusgegenstand erhoben. Wenn sich aber alle eine Sache leisten könnten, sei dies kein Luxus mehr. Daher müsse jeder gleich stark befriedigt werden; und zwar nach Tüchtigkeit und gesellschaftlichem Ansehen. Dafür müsse auch die Lohnpyramide entschärft werden, indem man die Löhne für unangenehme Aufgaben anhebe.

Fetscher sieht in der Arbeitszeitverkürzung auch den Vorteil, daß man diese Zeit als eine Zeit der kreativ genutzten Muse nutzt und sich weiterbildet Ebenso müsse man den Unterschied zwischen der sogenannten Kopfarbeit und der sogenannten Handarbeit vermindern.

Professor Fetscher hält es in Zukunft auch für äußerst wichtig, daß die Demokratisierung im Alltag erheblich ausgebaut wird; die Bevölkerung in den Angelegenheiten ein Mitspracherecht eingeräumt bekommt, die sie unmittelbar betreffen.