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Nahe-Zeitung, 14.11.1988 "Schnecke" suchte Spuren Fahrt nach Paris: Idar-Obersteiner Exilanten getroffen
Zur politisch-kulturellen Spurensuche waren Mitglieder "Der Schnecke" für vier Tage nach Paris gefahren.
Ausgangspunkt der ungewöhnlichen Reise an die Seine war u. a. die Tatsache, daß sich mehrere Idar-Obersteiner Exilanten während der Nazi-Diktatur in Paris aufgehalten hatten. Im Marais fand die Schnecken-Gruppe in dem 78jährigen Silber- und Kupferschmied Georg K. Glaser einen Zeitzeugen, den nicht nur gemeinsame Exilerlebnisse mit dem Idar-Obersteiner Exilanten Kirschmann, Füllenbach und Jung verbanden. Glaser, der 1933 über Idar-Oberstein ins Saargebiet geflohen war, war nach 1945 in seiner Wahlheimat Paris geblieben und ist noch immer als selbständiger Silber- und Kupferschmied in seinem Handwerk, das er sich als Autodidakt aneignete, tätig. Seine kunstvollen Schmiedearbeiten zieren nicht nur etliche Hausfassaden im Marais, sondern befinden sich auch in zahlreichen Kirchen, Bankgebäuden und Botschaften in und außerhalb Frankreichs.
Die Edelsteine, die Glaser für Schmuck, Dosen u. a. Gegenstände benötigt, stammen - wie könnte es anders sein - aus Idar-Oberstein und werden von Glasers Frau einmal im Jahr bei der Firma Constantin Wild in Idar eingekauft.
Glasers Motto lautet: Wir sind die letzten. Fragt uns aus!" und so ist der rüstige Exilant der aus Gundersblum in Rheinhessen stammt, in den letzten Jahren immer mehr zu einem unverzichtbaren Informant von Rundfunk- und Fernsehjournalisten geworden
Neben seiner handwerklichen Arbeit findet Glaser nach wie vor Zeit um Bücher zu schreiben. Sein autobiographischer Bericht "Geheimnis und Gewalt" soll in Kürze in achter Auflage im Rowohlt-Verlag erscheinen.
Die Suche nach Spuren des bekanntesten Idar-Obersteiner Exilanten, Emil Kirschmann, führte die Schnecken-Reisenden in die Gegend von Saint-German des Près und Montparnasse. Im dort gelegenen Großhotel Lutetia tagte Ende der 30er Jahre unter Leitung des Schriftstellers Heinrich Mann, der Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront, dem auch Kirschmann angehörte. Die Arbeit des Ausschusses scheiterte schon bald, nachdem Heinrich Mann nicht mehr bereit war, den politischen Winkelzügen Walter Ulbrichts zu folgen.
Im Hotel Lutetia traf Kirschmann bei einem seiner seltenen Paris-Aufenthalte den ehemaligen Redakteur des Obersteiner "Nahetal-Boten", Jupp Füllenbach, der am nahegelegenen Boulevard Montparnasse in Willi Münzenbergs Exilverlag Editions du Carrefour tätig war. Das unscheinbare Gebäude, in dem u. a. Bücher von Bertolt Brecht und Anna Seghers verlegt wurden, war in Paris die erste Adresse aller deutschsprachigen Exil-Schriftsteller. Auch Georg K Glaser gehörte zu den ständigen Besuchern der Edition du Carrefour. Füllenbach, der Hals über Kopf Straßburg hatte- verlassen müssen, um nicht an die Nazis ausgeliefert zu werden, war bei der Edition du Carrefour als Lagerarbeiter eingestellt worden und hatte es schließlich bis zum Teilhaber Münzenbergs gebracht, als der Verlag schließlich aus politischen Gründen liquidiert werden mußte.
Füllenbachs Spuren führten die Schnecken-Gruppe auch in die Nähe der Pariser Oper, wo sich am Boulevard Hausmann Münzenbergs zweiter Exil-Verlag, die Edition Sebastian Brant befand. Das Gebäude beherbergt beute den britischen Kaufhausriesen Marks & Spencer.
Letzte Station der Schnecken-Spurensucher war das berüchtigte Prison de la Santä. In dem tristen Gefängnisbau, der noch heute einer alten Festung gleicht waren u. a. Alfred Jung und dessen Sohn Heinz nach ihrer Auslieferung an die Nazis gebracht worden. Alfred Jungs Leidensweg führte von der Santé über Trier und Saarbrücken schließlich in das Konzentrationslager Dachau.
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